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„Akzentfreies Deutsch“ – was soll das heißen? Fall des Monats Dezember 2019

Vorfall und Unterstützung durch die Gleichbehandlungsanwaltschaft

Frau L ist als Rechtsberaterin bei einer NGO im Antidiskriminierungsbereich tätig. Sowohl ihr Vor- als auch ihr Nachname lassen einen arabischen oder muslimischen Hintergrund vermuten. Außerdem hat ihre Familie Migrationshintergrund. Zu ihren Aufgaben zählt die Beratung und Unterstützung von Personen, die sich diskriminiert fühlen. Eine_r ihrer Klient_innen wendet sich an sie mit der Bitte, ein Stelleninserat auf einen möglichen Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgesetz (GlBG) zu überprüfen. Im Inserat wird eine Verkaufshilfe „mit akzentfreier deutscher Aussprache“ gesucht. Frau L erkennt in dieser Formulierung eine Gesetzesverletzung und richtet ein Schreiben an das Unternehmen. Sie erhält eine ausschweifend formulierte Antwort des Unternehmers Herrn Z, in der dieser den Vorwurf der Diskriminierung vehement bestreitet, Frau Ls eigene Deutschkenntnisse als unzureichend bewertet und sowohl ihre Qualifikation als Rechtsberaterin im Antidiskriminierungsbereich als auch die Existenzberechtigung ihres Arbeitgebers in Frage stellt. So hält er ihr beispielsweise vor, ihr Schreiben so verfasst zu haben, dass „eine flüssige Leseweise nicht gesichert“ sei oder dass die Verwendung eines hochdeutsch formulierten Wortes ihre mangelnden Kenntnisse des deutschen Sprachgebrauchs in Österreich zum Ausdruck bringe. Frau L ist verunsichert und verletzt – sie fühlt sich auf ihren Migrationshintergrund reduziert und gedemütigt.

Frau L möchte sich gegen diese rassistisch motivierten Angriffe zur Wehr setzen. Sie wendet sich zur Beratung an die Gleichbehandlungsanwaltschaft (GAW). Die Gleichbehandlungsanwältin bespricht mit Frau L mögliche weitere Schritte. Eine Intervention durch die GAW beim Unternehmen erscheint nicht produktiv. Die GAW richtet für Frau L einen Antrag auf Überprüfung einer Diskriminierung an die Gleichbehandlungskommission (GBK). Nach Durchführung des Verfahrens stellt die GBK in ihrem Prüfungsergebnis fest, dass Herr Z Frau L aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit belästigt hat.

Hintergründe

Belästigung durch „Dritte“ in Zusammenhang mit einem Arbeitsverhältnis

Das Antwortschreiben von Herrn Z war für Frau L in mehrfacher Hinsicht grenzüberschreitend und würdeverletzend: Er stellte unmissverständlich in Frage, ob sie überhaupt über die nötigen Kompetenzen und Qualifikationen verfüge, ihren Beruf als Rechtsberaterin auszuüben. Als Grund für dieses Anzweifeln ihrer Kompetenz behauptete er. Sie habe unzureichende Deutschkenntnisse. Tatsächlich aber war das Schreiben von Frau L an das Unternehmen von Herrn Z in einem tadellosen, grammatikalisch korrekten Deutsch verfasst. Für Frau L und auch für die GAW zeigt sich, dass Herr Z lediglich aufgrund des Namens von Frau L, der auf ihren Migrationshintergrund hinweist diese Behauptungen aufgestellt hatte, um ihre fachliche Kompetenz und die offenbar nicht unberechtigten Anliegen hinsichtlich gesetzeskonformer Stellenausschreibung in Frage zu stellen. Aus der Sicht der GAW beleidigte Herr Z daher mit rassistisch motivierte Beleidigungen und Kränkungen, die in diesem Zusammenhang eine Belästigung nach dem GlBG darstellen. 

Die GBK folgte dieser Meinung in ihrem Prüfungsergebnis. Sie ging davon aus, dass die Bemerkungen von Herrn Z in Bezug auf Frau Ls mangelhafte Kenntnisse der deutschen Sprache sowie des Sprachgebrauchs in Österreich mit ihrem als „ausländisch“ wahrgenommenen Namen zusammenhingen. Herr Z brachte im Verfahren zwar vor, dass er das an Frau L gerichtete Schreiben genauso auch an einen von ihm beispielhaft angeführten „Huber Seppl“ geschickt hätte, der GBK erschien diese Behauptung jedoch weniger glaubhaft als die Behauptung von Frau L, dass der Grund für die Bemerkungen Herrn Z‘ ihr „fremder“ Namen gewesen sei. Da die Bemerkungen demnach einen Zusammenhang mit der ethnischen Zugehörigkeit aufwiesen und Frau Ls Würde verletzten, für sie unangebracht waren und ein demütigendes Umfeld für sie geschaffen haben, stellte die GBK eine Belästigung durch „Dritte“ in Zusammenhang mit einem Arbeitsverhältnis fest (§ 21 Abs 1 Z 3 GlBG).

„Perfekte Deutschkenntnisse“ als Chiffre für „Ausländer_in“

In seinem Antwortschreiben befasste sich Herr Z vor allem mit Frau Ls vermeintlich mangelhaften Deutschkenntnissen, so ging er doch zumindest kurz auf den Kern von Frau Ls Schreiben an ihn ein, nämlich auf den Vorwurf, ein diskriminierendes Stelleninserat veröffentlicht zu haben. Interessant, aber nach Ansicht der GAW keineswegs ein Zufall ist, dass hier wie dort „Deutschkenntnisse“ bzw. „akzentfreie deutsche Aussprache“ als Chiffre für „ethnische Zugehörigkeit“ verwendet wurden. Der Duden definiert den „Akzent“ als eine Form der Aussprache bzw. der Sprachmelodie. Üblicherweise ist von einem Akzent als besondere Sprachfärbung im Zusammenhang mit der Ausübung einer Fremdsprache die Rede. So wird die Bedeutung der Verben „akzentfrei“ oder „akzentlos“ beschrieben als „ohne typischen fremdsprachigen Akzent.“ In anderen Fällen finden sich Formulierungen wie „perfekte Deutschkenntnisse“ oder „muttersprachliche Deutschkenntnisse“. „Perfekte“ oder „ausgezeichnete“ Deutschkenntnisse ist eine problematische Formulierung, da unklar ist, was „perfekt“ oder „ausgezeichnet“ eigentlich bedeutet – insbesondere, da die beste Schulnote in Österreich „sehr gut“ ist. „Muttersprachliche“ Deutschkenntnisse nehmen direkt Bezug auf die ethnische Zugehörigkeit. Personen nicht-deutscher Muttersprache werden von Formulierungen wie „akzentfreie“ oder „perfekte/ausgezeichnete Deutschkenntnisse“ zwar nicht grundsätzlich ausgeschlossen, da ein entsprechend hohes Niveau auch anderweitig, z. B. durch jahrelanges intensives Studium von „Deutsch als Fremdsprache“ erworben werden kann. Aus Sicht der GAW sind die meisten dieser Formulierungen als problematisch anzusehen, weil einerseits vor allem Personen nicht-deutscher Muttersprache von einer Bewerbung abgeschreckt werden können und andererseits die Anforderung nach einer „akzentfreien deutscher Aussprache“ für die konkrete Tätigkeit im Fall von Frau L als Verkäufer_in als überzogen anzusehen ist. Zu der diskriminierenden Formulierung „perfekte Deutschkenntnisse“ bzw. „ausgezeichnete Deutschkenntnisse“ gibt es inzwischen mehrere bestätigende Entscheidungen des ehemaligen Unabhängigen Verwaltungssenats (UVS) und der Landesverwaltungsgerichte (UVS Wien vom 11.03.2008 zu der Formulierung „ausgezeichnetes Deutsch“ (Geschäftszahl: 06/42/318/2008) , UVS Steiermark vom 26.08.2013 zu der Formulierung „ausgezeichnete Deutschkenntnisse“ (Geschäftszahl: 30.11-11/2012-4), Landesverwaltungsgericht Salzburg vom 02.02.2016 zu der Formulierung „perfekte Deutschkenntnisse“ (Geschäftszahl: LVwG-10/257/14-2016)).

Die Herkunft einer Person im Sinne eines Migrationshintergrundes ist in Österreich nach wie vor eines der Hauptkriterien, entlang derer Diskriminierung passiert. Darauf deutet der hohe Anteil von 62% aller Befragten mit Migrationshintergrund bzw. 74% aller Personen mit einer sichtbar anderen Herkunft (etwa aufgrund von Hautfarbe, Kleidung oder Akzent – wohl auch Name) in einer aktuelle Studie über Diskriminierungserfahrungen in Österreich der Arbeiterkammer Wien hin (Daniel Schönherr / Bettina Leibetseder / Winfried Moser / Christoph Hofinger, S. 32). Die Beratungsstatistik der GAW zeigt, dass es sich bei den gemeldeten Diskriminierungen aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit in der Arbeitswelt vorwiegend um Belästigungen in Form von rassistischen Beschimpfungen handelt, z. B. durch das »N-Wort« oder andere abwertende Bezeichnungen in Zusammenhang mit der ethnischen Zugehörigkeit. Belästigungen können durch den_die Arbeitgeber_in selbst, aber auch durch sogenannte „Dritte“ (Kolleg_innen, Kund_innen oder andere externe Personen, mit denen die betroffene Person berufsbedingt Kontakt hat) getätigt werden.

Hohes Diskriminierungspotenzial von Muslim_innen – anti-muslimischer Rassismus

Das hohe Ausmaß an negativen Haltungen zu Muslim_innen in der österreichischen Bevölkerung bietet ernsthaft Anlass zur Sorge (SSÖ-Erhebung 2018 zu unterschiedlichen Verhaltensweisen und Einstellungen der Bevölkerung in Österreich, u. a. über die Einstellung zu diversen religiösen Gruppen, im Besonderen zu Muslimen in Österreich) Befragungen von Muslim_innen im Rahmen weiterer Studien (SORA: Junge Menschen mit muslimischer Prägung in Wien) sowie die Schilderungen von Betroffenen bei der GAW weisen auf ein hohes Diskriminierungsrisiko von Muslim_innen hin.  Die GAW sieht hier dringenden Handlungsbedarf. Wesentlich ist dabei  die Bereitstellung von ausreichenden Ressourcen für den Rechtszugang für Betroffene von Diskriminierung.  Es gilt im breiten politischen Diskurs und medialen Debatten für deren Anerkennung als Teil der der österreichischen Bevölkerung zu sorgen, von Stigmatisierungen Abstand zu nehmen und durch Bewusstseinskampagnen ein positives Bild dieser Gruppe zu zeichnen. 

Fazit

Berater_innen sind geschützt

Nicht zuletzt die eigene Beratungspraxis der GAW zeigt, dass Berater_innen, die Menschen mit Diskriminierungserfahrung beraten, unterstützen und für sie nach außen hin auftreten, sich in einer besonders exponierten Position befinden. Sie sind Angriffen ausgesetzt, und zwar gerade nicht auf einer rechtlichen bzw. sachlichen Ebene, sondern auf einer persönlichen Ebene, die die Vulnerabilität eines Diskriminierungsmerkmals besonders sichtbar machen. Diese persönlichen Angriffe zielen darauf ab, die Position der beratenden Person zu diskreditieren, ihr Befangenheit zu unterstellen und ihre Objektivität anzuzweifeln, indem Zuschreibungen vorgenommen werden. So wie in vorliegendem Fall, in dem Herr Z davon ausging, dass Frau L „selbst Ausländerin“ sei und daher nicht in der Lage, objektiv zu entscheiden, ob „akzentfreie Deutschkenntnisse“ ein sachliches Kriterium für den Job einer Verkaufskraft seien, oder ob es sich um eine nicht rechtfertigbare Diskriminierung aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit handelt. Die positive Entscheidung der GBK ist eine gute Nachricht für Menschen in beratenden Berufen: Auch sie sind vom Gleichbehandlungsgebot geschützt und können sich mit den Mitteln des GlBG gegen diskriminierende Angriffe zur Wehr setzen.