Kinder als Gehaltsbremse Fall des Monats November 2019

Vorfall und Unterstützung durch die Gleichbehandlungsanwaltschaft
Frau U ist seit zwanzig Jahren in einem großen Unternehmen in der Reinigungsbranche als Fachberaterin tätig. Ihre Aufgabe war es zunächst, Kund_innen des Unternehmens teilweise vor Ort fachlich zu beraten, wie komplexe Reinigungsaufgaben optimal durchgeführt werden können. Bei ihrem Einstieg erhielt sie eine beachtliche Überzahlung über das kollektivvertragliche Mindestentgelt sowie jährliche Gehaltserhöhungen und Gewinnbeteiligungsprämien. Nach etwa 10 Jahren im Unternehmen ging Frau U in Karenz. Als sie ins Unternehmen zurückkehrte, wurde sie einseitig als „Solution Managerin“ in den Innendienst versetzt, was veränderte Arbeitsbedingungen und ein wesentlich geringeres Entgelt bedeutete: Aufgrund ihrer veränderten Position wurde ihre Gewinnbeteiligungsprämie massiv verringert. Zudem erhielt sie über den Zeitraum der nächsten 10 Jahre nur mehr eine einzige Gehaltserhöhung.
Frau U wandte sich an die Gleichbehandlungsanwaltschaft (GAW). Diese intervenierte beim Unternehmen, erkundigte sich nach den Hintergründen für die Benachteiligungen und stellte die Vermutung einer Diskriminierung in Zusammenhang mit Frau Us Elternschaft in den Raum. Das Unternehmen bestritt eine Diskriminierung, zeigte sich aber kooperativ und setzte sich mit der Situation auseinander. Die GAW konnte mithilfe der Gehaltsdaten sowie Qualifikationen und Aufgabengebiete der anderen „Solution Manager_innen“ aufzeigen, dass es keine sachliche Rechtfertigung gab, dass Frau U schlechter entlohnt wird. Bei einem Gespräch, an dem die GAW, Frau U, der Personalleiter, Frau Us direkter Vorgesetzter sowie der Anwalt des Unternehmens beteiligt waren, konnte schließlich eine für Frau U zufriedenstellende Lösung verhandelt werden: Sie erhält eine sofortige Gehaltserhöhung und die Zusage für eine Gehaltserhöhung in sechs Monaten sowie eine einmalige Prämie. Frau U ist weiterhin im Unternehmen beschäftigt.
Hintergründe
Wiedereinstieg: Strukturelle Nachteile für Frauen
Vor zehn Jahren – als sie bereits zehn Jahre im Unternehmen war - ging Frau U zum ersten Mal für ein Jahr in Karenz. Drei Jahre später ging sie erneut in Karenz, ebenfalls für ein Jahr. Nach ihrer ersten Karenz, als sie mit einer Elternteilzeitvereinbarung ins Unternehmen zurückkehrte, veränderte sich ihr Arbeitsbereich und damit ihr Entgelt: Ihre Aufgaben und Einsatzgebiete verlegten sich verstärkt in den Innendienst und aufgrund des geringeren Kund_innenkontakts verringerte sich die Gewinnbeteiligungsprämie spürbar (von ca. EUR 1.800,- auf EUR 400,- jährlich). Nach ihrer zweiten Karenz wurde sie einseitig auf die Stelle einer sogenannten „Solution Managerin“ versetzt. Als solche war sie interne Ansprechperson, und hatte fast keinen Außen- und Kund_innenkontakt mehr. Das war für Frau U nicht nur weniger herausfordernd als ihre vorige Position, es brachte auch mit sich, dass die Prämien weit geringer waren. Zudem erhielt Frau U im Gegensatz zu vor der Karenz und zu ihren männlichen Kollegen keine Gehaltserhöhungen mehr - die einzige Gehaltserhöhung seit ihrer ersten Karenz erhielt sie im Jahr nach ihrer Rückkehr, und zwar in Höhe von EUR 70,- brutto.
Die Geschichte von Frau U ist exemplarisch für viele Frauen, die nach einer Elternkarenz in die Arbeitswelt wieder einsteigen. Das jüngste "Wiedereinstiegsmonitoring" der Arbeiterkammer (AK) aus dem Jahr 2017 zeigte regelmäßig starke Einkommensverluste für Frauen. Die Hälfte der Frauen mit Geburten im Jahr 2010 hatte vor der Geburt ein Bruttoeinkommen von mindestens EUR 2.000,-. Im fünften Jahr danach kamen nur mehr 31 Prozent auf diese Summe. Ergebnisse aus den Jahren 2006 bis 2009 mit längeren Nachbeobachtungszeiträumen von bis zu acht Jahren zeigten, dass auch in den Folgejahren die Einkommen der Frauen nur sehr langsam steigen (Arbeiterkammer (2017): Wiedereinstiegsmonitoring). Dies hat weltweit Struktur: Eine internationale Studie ausgehend von der US-amerikanischen Universität Princeton und durchgeführt mit einem Forscher_innen-Team unter anderem an der Universität Zürich, zeigte, dass Frauen, die nach der Geburt eines Kindes in den Job zurückkehren, mit massiven und langfristigen Einkommenseinbußen zu rechnen haben, während Väter davon nicht betroffen sind. In Österreich ist dieser Nachteil im Vergleich zu skandinavischen und englischsprachigen Ländern besonders groß. Diese Einkommenseinbuße bezeichnen die Studienautor_innen als „Child Penalty“ – also als „Kinderstrafe“ (Henrik Kleven, Princeton University and NBER, Camille Landais, London School of Economics, Johanna Posch, European University Institute, Andreas Steinhauer, University of Edinburgh, Josef Zweimüller, University of Zurich.
Die Studie suchte nach Zusammenhängen zwischen gesellschaftspolitischen Strukturen – Steuern, Transferleistungen und familienpolitische Maßnahmen wie Karenz und Kinderbetreuung – und den Einkommen von Müttern. Die generelle Annahme der Studienautor_innen ist, dass dort, wo die Zahl von Kinderbetreuungsplätzen seit den 1980ern stärker ausgebaut wurde, Frauen weniger hohe Gehaltsverluste zu erleiden haben. Nicht so in Österreich: Die Forschungsergebnisse zeigen, dass Frauen auf dem österreichischen Arbeitsmarkt ähnlich hohe Lohnverluste erleiden, obwohl mittlerweile mehr Kinderkrippen und Kindergartenplätze angeboten werden. Ein Grund für die Unterschiede sei wohl in den gesellschaftlichen Normen zu finden, so ein Autor der Studie. In Ländern, wo Elternschaft am Arbeitsmarkt große Nachteile mit sich bringt, gebe es auch eine konservative Rollenverteilung der Geschlechter (vgl orf.at (25. Jänner 2019), Große Verluste für Österreichs Mütter.) Die GAW nimmt seit 2019 erstmalig als Projektpartnerin an einem EU-Forschungsprojekt teil. Ziel des Projekts ist es, zu analysieren, welchen Benachteiligungen Eltern am Arbeitsplatz aufgrund ihrer Betreuungspflichten ausgesetzt sind und entsprechende Maßnahmen und Tools für Bewusstseinsbildung und Prävention zu erarbeiten (Mehr Infos zum Projekt „Parents@Work“ auf der Projekt-Website.).
Betriebsbezogene Gründe vs. Diskriminierung
Frau Us Wiedereinstieg fiel zusammen mit dem Verlust einer Hauptkundin des Unternehmens. Vor ihrer Karenz zählte die Betreuung dieser Kundin zu den wesentlichen Aufgaben von Frau U. Zudem konnte das Unternehmen auch belegen, dass die Auftragslage insgesamt stagnierte und sich dies in den Gehältern der Mitarbeiter_innen widerspiegelte.
Tatsächlich erhielten auch Frau Us Kollegen nicht mehr jährlich Gehaltserhöhungen, und die Gehaltserhöhungen, die sie erhielten, fielen im Vergleich zu früher geringer aus. Jedoch: Die Kollegen erhielten Gehaltserhöhungen.
Fazit
Der Konflikt als Chance für Arbeitgeber_in und Arbeitnehmer_in
Hervorzuheben ist an diesem Fall, dass sich Frau U während des gesamten Beratungsprozesses und darüber hinaus im aufrechten Dienstverhältnis befand. Die Beratungspraxis der GAW zeigt, dass Frauen in Diskriminierungsfällen oft erst dann Unterstützung suchen, wenn das Dienstverhältnis schon gelöst ist oder sich auf eine Auflösung zubewegt. Der Verdacht einer Diskriminierung versetzt Unternehmen mitunter in einen Zustand der Überforderung. In diesem Zustand trifft es dann auf eine Betroffene, die ihre Diskriminierungserfahrung womöglich schon seit Jahren mit sich trägt. In dieser Situation befürchten Betroffene, dass eine Intervention zu einer Eskalation führen kann. Dass dies nicht so sein muss, zeigt der Fall von Frau U. Das Unternehmen bestritt zwar bis zuletzt, dass es sich um eine Diskriminierung gehandelt haben könnte, aber setzte sich dennoch ernsthaft mit der Intervention der GAW auseinander und ließ sich auf den Vermittlungsprozess ein. Zum Vermittlungsgespräch in den Räumlichkeiten der GAW erschien neben der direkten Vorgesetzten Frau Us auch der Personalleiter des gesamten Unternehmens sowie der Unternehmensanwalt. Dass die direkte Vorgesetzte anwesend war, spielte eine nicht unwesentliche Rolle: Zu ihrer Vorgesetzten hatte Frau U stets ein gutes Verhältnis, diese begegnete ihr mir Wertschätzung für ihre gute Arbeit und wusste, dass Frau U auch von ihren Kolleg_innen geschätzt wurde. Beim Gespräch selbst wurden auch Frau Us berufliche Entwicklungsmöglichkeiten im Unternehmen besprochen und eine Grundlage für diesbezügliche Gespräche mit dem Personalleiter geschaffen. Wesentlich für das Zustandekommen einer für Arbeitgeber und Arbeitnehmerin guten Lösung ist die Unternehmenskultur. Wenn es kein Bewusstsein für das Diskriminierungspotential gewisser Situationen – so wie in diesem Fall der Wiedereinstieg nach der Elternkarenz – gibt, so kann ein offen ausgetragener Konflikt die Chance für Arbeitgeber – und womöglich auch Arbeitnehmerin – sein, sich weiterzuentwickeln.