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„Kopftuch passt nicht zu unserer Firma“: GBK-Prüfungsergebnis intersektionell genug? Fall des Monats September 2021

Vorfall und Unterstützung

Frau L ist iranischer Herkunft und muslimischen Glaubens. Sie ist 20 Jahre alt, trägt ein Kopftuch und ist auf der Suche nach einer Ausbildung bzw. einer Stelle. Sie besucht einen AMS-Kurs, wo sie dabei unterstützt wird. Ihre dortige Betreuerin entdeckt ein Inserat für eine Lehrstelle zur Mediendesignerin. Nachdem sie weiß, dass sich Frau L besonders für Grafik und Design interessiert, schlägt sie ihr vor, sich dort zu bewerben. Frau L schickt ihre Bewerbungsunterlagen – ohne Foto – an das Unternehmen und erhält einige Zeit später eine Einladung zum Vorstellungsgespräch.

Schon zu Anfang des Gesprächs fragt Herr I, der Geschäftsführer des Unternehmens, Frau L, wie es „ihr in Österreich gefalle“. Auf ihre Anmerkung, dass sie seit zehn Jahren hier lebt, erwidert er: „Dafür sprechen Sie aber schlecht Deutsch!“. Auch in der Folge schneidet er hauptsächlich Themen an, die nichts mit Frau Ls Qualifikationen zu tun haben, sondern mit ihrer Herkunft, ihrem Geschlecht und ihrem Kopftuch. So merkt er an, dass er „persönlich nichts“ gegen Frauen habe, „die ein Kopftuch tragen“. Aber Frau L passe damit leider nicht in sein Unternehmen. Für diesen Umstand entschuldigt er sich mit der Anmerkung: „Eure Frauen sollten sich bemühen und müssen sich weiterbilden.“ Er verstehe ja, dass es „für eure Frauen aufgrund der Tradition, ihrer Religion und der Kultur“ schwierig sei, aber sie müssten sich „von ihren Männern losreißen“ und Bildung erwerben.

Frau L hat nicht den Eindruck, dass dies ein Vorstellungsgespräch bezüglich der Lehrstelle ist, sondern dass Herr I ihr seine stereotypen Vorstellungen und Meinungen aufdrängt. Sie empfindet seine Bemerkungen als herabwürdigend im Zusammenhang mit ihrem Geschlecht, ihrer Religion und ihrer ethnischen Herkunft. Frau L wendet sich daher an die  Dokustelle Islamfeindlichkeit und antimuslimischer Rassismus. Gemeinsam mit einer Beraterin erstellt sie ein Gedächtnisprotokoll und nimmt Kontakt mit der Gleichbehandlungsanwaltschaft (GAW) auf. Diese unterstützt sie bei einem Antrag auf Einleitung eines Verfahren vor der Gleichbehandlungskommission (GBK), um das Vorliegen einer Diskriminierung prüfen zu lassen.

Rechtliche Hintergründe

Beurteilung der GBK

Beim Tragen von religiösen Kleidungsstücken am Arbeitsplatz geht es zum einen um das Grundrecht auf Glaubens- und Gewissensfreiheit und zum anderen um das gesetzliche Diskriminierungsverbot, das im Gleichbehandlungsgesetz (GlBG) geregelt ist. Demnach darf niemand aufgrund der Religion am Arbeitsplatz benachteiligt werden. Persönliche Bedenken seitens Arbeitgeber:innen – wie etwa, dass ein Kopftuch nicht ins Unternehmen passe – sind keine ausreichende Rechtfertigung für eine Benachteiligung, wie der europäische Gerichtshof in einer Entscheidung festgehalten hat (EuGH v. 14.3.2017, C-157/15).

Die GBK bejaht im Fall der Frau L eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts (§ 3 Z 1 GlBG) und der Religion (§ 17 Abs. 1 Z 1 GlBG) sowie aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit (§ 17 Abs. 1 Z 1 GlBG) bei der Begründung des Arbeitsverhältnisses. In Herrn Is Aussagen über Frau L als kopftuchtragende muslimische Frau iranischer Herkunft sieht die GBK außerdem eine Belästigung aufgrund derselben Merkmale (§ 7 Abs. 1 Z 1 GlBG und § 21 Abs. 1 Z 1 GlBG).

Intersektionalität und das Kopftuch bei der GBK

Fälle, bei denen das Tragen des muslimischen Kopftuchs zu einer Benachteiligung führt, beurteilt die GAW als sogenannte intersektionelle Diskriminierung: Der Begriff der Intersektionalität wurde von der amerikanischen Juristin Kimberlé Crenshaw (1989) geprägt. Unter diesem Begriff versteht man die  „Verschränkung verschiedener Ungleichheit generierender Strukturkategorien“ mit dem Ziel, sichtbar zu machen, dass sich Formen von Benachteiligung nicht einfach addieren lassen, sondern genau in diesen „Verschränkungen und Wechselwirkungen zu betrachten sind“.

Im Falle des Kopftuches betrifft die Benachteiligung etwa nicht alle Frauen oder alle Muslim:innen – sie betrifft die Gruppe der muslimischen Frauen, die aus religiösen Gründen Kopftuch tragen und deshalb benachteiligenden Zuschreibungen ausgesetzt sind: Sie werden als rückständig, ungebildet und/oder fremd wahrgenommen.

Studien zu Intersektionalität belegen, dass Diskriminierung sich nicht auf einen einzelnen Grund beziehen muss. Eine solche Betrachtungsweise greift oft zu kurz und kann die Probleme, um die es geht, verzerren oder Diskriminierungsdimensionen ausblenden (Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Mehrdimensionale Diskriminierung – Begriffe, Theorien und juristische Analyse, S. 4).

Im vorliegenden Prüfungsergebnis ist positiv hervorzuheben, dass die Gleichbehandlungskommission auch das Vorliegen einer Diskriminierung aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit bejaht hat. Aus Sicht der GAW ist die Einbeziehung dieser Dimension ein wichtiger Punkt, der sichtbar macht, dass es in vielen Fällen der Benachteiligung aufgrund des Tragens eines Kopftuches auch um die Ablehnung einer Person aufgrund ihrer (zugeschriebenen) Herkunft geht.

Ob dieses Prüfungsergebnis darauf hindeutet, dass die GBK auch in Zukunft das Vorliegen einer Diskriminierung aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit in „Kopftuchfällen“ bejahen wird, ist zu bezweifeln. Die GBK konstatiert nämlich (GBK I/865/18-M): „Isoliert betrachtet ist eine unterschiedliche Behandlung wegen des Tragens des islamischen Kopftuchs unter Religionsdiskriminierung zu subsumieren, im Zusammenwirken mit einem bestimmten äußeren Erscheinungsbild und einer fremden Sprache ist im Einzelfall auch das Vorliegen einer ethnischen Diskriminierung zu prüfen.“

Es dürfte daher auch in Zukunft auf den Einzelfall – wie etwa die getätigten Aussagen – ankommen, ob auch diese Dimension der Diskriminierung überprüft wird. Aus Sicht der GAW ist dies in vielen Fällen, wie oben durch die deutsche Antidiskriminierungsstelle angedeutet, „zu kurz gedacht“. Wichtige gesellschaftliche Dynamiken werden dadurch nicht sichtbar – hier konkret antimuslimischer Rassismus.

Fazit

Antimuslimischer Rassismus: Der Fall im Kontext

Antimuslimischer Rassismus ist ein Phänomen vieler europäischer Gesellschaften. Er existiert, wie  Umfragen und Studien zeigen, unabhängig davon, wie groß der Anteil an Muslim:innen in der Bevölkerung tatsächlich ist. Eine groß angelegte SORA-Studie zu „Diskriminierungserfahrungen in Österreich“ zeigt, dass 78 Prozent der muslimischen Befragten in den letzten drei Jahren Diskriminierung erlebt haben. Zu beunruhigenden Ergebnissen bezüglich der Einstellung gegenüber Muslim:innen in Österreich kommt auch eine Untersuchung des Social Survey Österreich: Über ein Drittel der Befragten steht demnach Muslim:innen negativ gegenüber. Zu antimuslimischem Rassismus im Zusammenhang mit dem Tragen eines Kopftuchs verzeichnete die GAW selbst etwa 100 Anfragen im Berichtszeitraum 2018/2019. Es ist daher von Bedeutung, dass Muslim:innen sich gegen Diskriminierung zur Wehr setzen können.

Mit Unterstützung der GAW konnte Frau L einen angemessenen Schadenersatz mit dem diskriminierenden Unternehmen ausverhandeln. Sie ist mit dem verhandelten Vergleich zufrieden. Nichtsdestotrotz wäre es ihr lieber gewesen, die gewünschte Stelle zu erhalten und eine qualifizierte Ausbildung erwerben zu können. Der Fall zeigt, dass Vorurteile und falsche Zuschreibungen gegenüber kopftuchtragenden Musliminnen für diese weitreichende Folgen auf dem Arbeitsmarkt haben. Gerade deshalb besteht die Notwendigkeit, gegen antimuslimischen Rassismus vorzugehen. Es gilt im breiten politischen Diskurs und in medialen Debatten dafür zu sorgen, dass Muslim:innen als Teil der österreichischen Bevölkerung anerkannt und gleichwertig behandelt werden.

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