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Lehrer belästigt Schüler – das Gleichbehandlungsgesetz schweigt, die Gleichbehandlungsanwaltschaft (GAW) sucht Lösungen Fall des Monats Dezember 2020

Dokumentation & Verweis an die Kinder- und Jugendanwaltschaft

Der Schüler B geht auf ein öffentliches Gymnasium. Einer seiner Lehrer schickt ihm Nachrichten über eine Plattform, die sonst auch für schulische Arbeitsaufträge verwendet wird und fragt ihn dort explizit nach seinem Sexualverhalten. Erst ein Jahr nach der Matura wendet sich B an eine Vertrauensperson. Die Vertrauensperson kontaktiert die Gleichbehandlungsanwaltschaft (GAW) und muss dort erfahren, dass das Gleichbehandlungsgesetz (GlBG) dafür keinen Schutz bietet.

Aus Sicht der GAW handelt es sich bei den Nachrichten zwar klar um eine sexuelle Belästigung, in diesem Fall kann sie aber nicht mit dem (GlBG) bekämpft werden. Der Grund: Das GlBG sieht für Diskriminierungen auf Grund des Geschlechts - und damit sexuelle Belästigung - im Bildungsbereich keinen Schutz vor. Die GAW kann daher keine rechtliche Unterstützung bieten.

Sie verweist den Betroffenen an die Kinder- und Jugendanwaltschaft, die in solchen Fällen nach Erfahrung der GAW eine sehr gute Unterstützung bietet - aber auf anderer Grundlage und mit einem anderen Fokus agiert. Die GAW kann den Fall nur dokumentieren. Diese Dokumentation hilft, ihrer Forderung nach einer Ausdehnung des Diskriminierungsschutzes Nachdruck zu verleihen.

Hintergründe

Sexuelle Belästigung im Bildungsbereich

Im Bildungsbereich sowie beim Sozialschutz und den sozialen Vergünstigungen schützt das GlBG ausschließlich bei Diskriminierungen wegen der „ethnischen Zugehörigkeit“. In der Arbeitswelt sind alle Diskriminierungsgründe – ethnische Zugehörigkeit, Religion, Weltanschauung, sexuelle Orientierung, Alter und Geschlecht – gleichermaßen erfasst.

Im Gegensatz etwa zu einer Allgemeinbildenden höheren Schule (AHS), einer neuen Mittelschule (NMS), einer Hauptschule oder einer polytechnischen Schule (PTS) fallen Berufsschulen und berufsbildende Schulen in den Bereich der Arbeitswelt. Das bedeutet, dass die GAW den Schüler B hätte unterstützen dürfen, wenn die sexuelle Belästigung dort vorgefallen wäre. Da er allerdings AHS-Schüler war, und dies unter den Tatbestand Bildung fällt, besteht für ihn kein Schutz im GlBG.

Zusammenarbeit mit der Kinder- und Jugendanwaltschaft

Dass eine sexuelle Belästigung keine Folgen nach dem GlBG hat, muss nicht heißen, dass sie folgenlos bleibt. Die GAW hat in diesem Zusammenhang in den letzten Jahren eine gute Zusammenarbeit mit der Kinder- und Jugendanwaltschaft aufgebaut, an die sie in solchen Fällen weiterverweist. Die Kinder- und Jugendanwaltschaft wurde auf Basis der UN‑Kinderrechtskonvention eingerichtet. Sie konzentriert sich auf Kinderrechte und nimmt auch auf die psychosoziale Dimension Rücksicht. Ihr Tätigwerden kann zur Einleitung eines Disziplinarverfahrens führen.

Dort wo sich die Zuständigkeiten der GAW und der Kinder- und Jugendanwaltschaft überschneiden, werden die Kompetenzen beider Organisationen mitunter zusammen genutzt. In einem Fall sexueller Belästigung in einer berufsbildenden Schule wurde etwa gemeinsam ein Vermittlungsgespräch mit einer Schuldirektion geführt und erfolgreich im Sinne der betroffenen Jugendlichen abgeschlossen.

Die GAW hat eine jahrzehntelang aufgebaute Expertise im Umgang mit sexueller Belästigung. Darüber hinaus unterstützt sie seit Jahren Organisationen durch Bewusstseinsbildungs- und Informationsarbeit bei der Prävention von Vorfällen und wird hier immer wieder für Schulungsmaßnahmen z.B. zum Thema Abhilfemaßnahmen angefragt (zu unserem Leitfaden „Abhilfe gegen sexuelle Belästigung“ (PDF, 259 KB)).

Gleichbehandlungsrecht und Strafrecht: Wo liegt der Unterschied?

Handelt es sich um massive sexuelle Belästigung, kann dies nach derzeitiger Rechtslage strafrechtliche Folgen haben. Die Schwelle der einschlägigen Straftatbestände wird jedoch oft nicht überschritten (Fact Sheet zu sexueller Belästigung nach dem Gleichbehandlungsgesetz und dem Strafgesetzbuch (PDF, 71 KB)). Die Nachrichten, die der Schüler B erhält, sind etwa (schon) deshalb nicht strafrechtlich relevant, weil es sich um verbale Übergriffe handelt.

Fazit

Ressourcen anzapfen, Lücken schließen: Angleichung des Schutzniveaus

Auch wenn durch die Zusammenarbeit mit der Kinder- und Jugendanwaltschaft sowie durch klärende Gesprächen mit Direktor:innen, Lehrer:innen und/oder Mitschüler:innen einiges erreicht werden kann, zeigt sich, dass ein Levelling-up – also die Angleichung des Schutzniveaus unter anderem im Bildungsbereich – dringend erforderlich ist. Alle Antidiskriminierungsgesetze der Bundesländer sehen diesen Schutz vor sexueller Belästigung im Bildungsbereich bereits vor. Für berufsbildende Schulen sowie Berufsschulen gilt er auch im GlBG. Im Sinne der gleichen Bewertung fast identer Sachverhalte wäre eine Erweiterung des Schutzes auf den gesamten Bildungsbereich jedenfalls vonnöten. Diese Forderung ist Teil der „fünf zentralen Forderungen“ der GAW und dem Nationalrat im Dezember 2020 im Bericht der GAW vorgelegt wurden.