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Mit Kopftuch nicht zum Turnunterricht Fall des Monats August 2022

Vorfall und Beratung

Frau H besucht die 5. Klasse eines Gymnasiums. Aufgrund ihres Kopftuches verwehrt ihr die Turnlehrerin die Teilnahme am Sportunterricht. Die Lehrerin meint, dass sie die Schülerin negativ beurteilen werde, wenn sie sich weiter weigert, das Kopftuch abzulegen. Sie begründet dies mit Sicherheitsbedenken und ihrer Fürsorgepflicht als Lehrerin und verweist auf eine Verordnung des Stadtschulrates.

Als Frau Hs Eltern die Lehrerin auf den Vorfall ansprechen, steht sie nicht für ein Gespräch bereit. Auch von der Direktion bekommt die Familie keine Unterstützung. Frau H verschlechtert sich auf Grund des psychischen Drucks daraufhin in anderen Schulfächern. Es fällt ihr schwer, nicht jede Turnstunde in Tränen auszubrechen, weil die Lehrerin sie immer wieder aus dem Turnunterricht ausschließt und abwertende rassistische Bemerkungen über ihr Kopftuch vor ihr und ihren Mitschüler:innen macht. Schließlich wendet sich Frau H per E-Mail an die Gleichbehandlungsanwaltschaft, um die Diskriminierung zu melden und Unterstützung zu erhalten.

Eine Gleichbehandlungsanwältin dokumentiert Frau Hs Schilderungen und bietet der Schülerin an, ein vermittelndes Gespräch mit ihrer Lehrerin zu suchen. Vor dem Gespräch mit der Lehrerin holt die Gleichbehandlungsanwältin anonym Expert:innenmeinungen bei der Kinder- und Jugendanwaltschaft und der Initiative für ein diskriminierungsfreies Bildungssystem (IDB) ein. Beide Stellen versichern ihr, dass nur gegen ein Kopftuch mit Nadeln im Sportunterricht Sicherheitsbedenken eingewendet werden könnten. Die Expertin der IDB empfiehlt einen Sport-Hijab, um diese auszuräumen.

Die Gleichbehandlungsanwältin sucht daraufhin das Gespräch mit Frau H und ihrer Lehrerin, für die die sportliche Alternative zum normalen Kopftuch eine mögliche Lösung darstellt. Frau H erwirbt daraufhin den Sport-Hijab und darf am Sportunterricht teilnehmen.

Rechtliche und soziale Hintergründe

Intersektionelle Diskriminierung und Gesetzeslage

Der geschilderte Vorfall betrifft den Sportunterricht an einem Gymnasium. In Bezug auf allgemeine Bildungseinrichtungen – wie Volksschulen, NMS, AHS-Unter- und Oberstufe – verbietet das Gleichbehandlungsgesetz (GlBG) Diskriminierung aufgrund der ethnischen Herkunft. Andere Diskriminierungsgründe, wie Geschlecht oder Religion, sind in diesen Schultypen nicht vom Diskriminierungsverbot umfasst.

Wird eine Person im Unterricht an einem Gymnasium benachteiligt oder davon ausgeschlossen, weil sie aufgrund ihrer Religion ein Kopftuch trägt, beurteilt die GAW dies als sogenannte intersektionelle Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, der Religion und der ethnischen Zugehörigkeit.

Die Benachteiligung betrifft nicht alle Frauen oder alle Muslim:innen, sondern die Gruppe der muslimischen Frauen, die aus religiösen Gründen ein Kopftuch tragen. Die Ablehnung beruht sehr häufig nicht nur in einer Ablehnung des Islam als Religion, sondern auch darauf, dass Muslim:innen von Teilen der österreichischen Mehrheitsbevölkerung als fremd wahrgenommen werden und nicht als ein Teil der Gesellschaft gesehen werden (wollen). Ein Ausschluss von Personen, die als fremd wahrgenommen werden, weil sie auf Grund bestimmter Unterschiede von der regionalen Mehrheit als nicht zugehörig angesehen werden, stellt eine Diskriminierung aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit dar (siehe Regierungsvorlage zum Merkmal „ethnische Diskriminierung“ RV 307 BlGNR 22.GP 14.) Diskriminierung von Muslim:innen aufgrund von Fremdzuschreibungen werden auch als antimuslimischer Rassismus bezeichnet.

Die Gleichbehandlungsanwaltschaft ist daher der Ansicht, dass eine Diskriminierung einer Muslima aufgrund ihres Hijab als Diskriminierung aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit auch im Bildungsbereich verboten ist. Die Gleichbehandlungskommission sieht in Diskriminierungen auf Grund des Kopftuches ebenfalls eine Form intersektioneller Diskriminierung – allerdings lediglich aufgrund von Religion und Geschlecht. Die Rechtslage ist noch nicht abschließend gerichtlich geklärt.

Vernetzung mit anderen Diskriminierungsstellen

Aus einem Bericht der EU-Grundrechteagentur 2021 geht hervor, dass viele Muslim:innen in Europa intersektionelle Diskriminierung erfahren, die auf einer Kombination mehrerer Identitätsmerkmale basiert. Betroffene können dabei oft nicht mit Sicherheit sagen, ob die von ihnen erfahrene Diskriminierung auf Grund von Zuschreibungen zu Ethnizität oder Religion passiert.

Aufgrund der schwierigen Abgrenzungen betreffend die Thematik und mangels ausjudizierter Rechtslage setzt die Gleichbehandlungsanwaltschaft bei Fällen betreffend das Kopftuch im Bildungsbereich verstärkt auf den Austausch mit anderen Beratungsstellen sowie auf vermittelnde Gespräche zwischen den beteiligten Parteien und versucht so, eine zufriedenstellende Lösung für die Betroffenen zu finden. Im Bildungsbereich sind, wie der Fall von Frau H zeigt, die Kinder- und Jugendanwaltschaft sowie die Initiative für ein diskriminierungsfreies Bildungssystem (IDB) wichtige Bündnispartner:innen, um Diskriminierung entgegenzuwirken. Mittelfristig möchte die Gleichbehandlungsanwaltschaft erreichen, dass in diesem Bereich die Rechtssicherheit erhöht wird, indem Musterverfahren geführt werden.

Fazit

Der Fall von Frau H macht deutlich, dass Vermittlung und Austausch einen wichtigen Teil zur Lösung beitragen können – vor allem dann, wenn die Rechtslage nicht abschließend geklärt ist. Aufgrund der Schutzlücken im Gleichbehandlungsgesetz – etwa im Bildungsbereich – fordert die Gleichbehandlungsanwaltschaft seit Jahren das Levelling-up. Der Diskriminierungsschutz soll für alle Diskriminierungsgründe auf alle Lebensbereiche ausgeweitet werden, damit die Gleichbehandlungsanwaltschaft gegen alle Formen der Diskriminierung im Bereich Arbeitswelt, Güter und Dienstleistungen, sowie Bildung und Soziales rechtlich vorgehen kann.