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Antimuslimische Belästigung im Kindergarten Fall des Monats März 2022

Vorfall und Beratung

Frau F ist Kindergartenpädagogin und kopftuchtragende Muslima mit bosnischem Migrationshintergrund. Eines Tages kommt es zu folgender Situation: Beim Abholen sieht eine Mutter, Frau M, ihr weinendes Kind alleine an einem Tisch sitzen. Frau M geht ohne weitere Hinweise davon aus, dass ihr Kind von Frau F geschlagen worden sei. Sie beschimpft Frau F mit einem abwertenden Ausdruck für kopftuchtragende Frauen auf Bosnisch/Kroatisch/Serbisch (BKS). Frau M hat selbst mazedonisch-bosnischen Migrationshintergrund und muslimischen Glauben, trägt aber kein Kopftuch.

Nach behördlicher Prüfung der Misshandlungs-Vorwürfe wird kein Fehlverhalten von Frau F festgestellt. Auch die pädagogische Leitung bestätigt die gute Arbeitsleistung von Frau F. Sie kann ihre Tätigkeit als Kindergartenpädagogin fortsetzen. Das Kind wird jedoch – auf Wunsch der Mutter –  von der Bildungseinrichtung abgemeldet.

Zwei Wochen nach dem Vorfall kontaktiert Frau F die Gleichbehandlungsanwaltschaft (GAW) über  das Melde- und Kontaktformular, um die erlebte Belästigung zu dokumentieren und sich über den rechtlichen Diskriminierungsschutz zu informieren. Ein:e Erstberater:in der GAW vermutet eine Diskriminierung nach dem Gleichbehandlungsgesetz (GlBG) und leitet den Fall an eine:n Gleichbehandlungsanwält:in weiter. Er:sie vereinbart mit Frau F einen persönlichen Beratungstermin.

Nach der Beratung entschließt Frau F sich dazu, einen Antrag bei der Gleichbehandlungskommission (GBK) einzubringen. Im Verfahren bei der GBK wird festgestellt, dass Frau F aufgrund des Geschlechts, der Religion und der ethnischen Zugehörigkeit belästigt wurde.

Rechtliche und soziale Hintergründe

Gesetzeslage und intersektionelle Diskriminierung

Diskriminierung und Belästigung von Frauen, die ein Kopftuch tragen, ist nach dem Gleichbehandlungsgesetz (GlBG) verboten. Belästigung wird nach dem GlBG als eine diskriminierende Verhaltensweise definiert, die unerwünscht, unangebracht oder anstößig ist und die Würde eines Menschen verletzt, sowie ein einschüchterndes, feindseliges, entwürdigendes, beleidigendes oder demütigendes Umfeld schafft oder dies zumindest bezweckt.

Es handelt sich hier um einen intersektionellen Fall von antimuslimischem Rassismus mit Bezug zu den Merkmalen Geschlecht und Religion. Die GBK hat mit Verweis auf ihre Spruchpraxis festgehalten, dass es sich um einen Fall von intersektioneller Diskriminierung von Religion und Geschlecht handelt. Unter intersektioneller Diskriminierung wird verstanden, dass mehrere miteinander verwobene Merkmale zu einer Diskriminierung geführt haben. Die Belästigung aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit stellt laut GBK eine zusätzliche Mehrfachdiskriminierung dar. Bei Mehrfachdiskriminierung wird ein Identitätsmerkmal zusätzlich zu einem anderen Identitätsmerkmal durch die diskriminierende Handlung anvisiert.

Aus einem Bericht der EU-Grundrechteagentur 2021 geht hervor, dass viele Muslim:innen in Europa intersektionelle Diskriminierung erfahren, die auf einer Kombination mehrerer Identitätsmerkmale basiert. Betroffene können dabei oft nicht mit Sicherheit sagen, ob die von ihnen erfahrene Diskriminierung auf Grund von Zuschreibungen zu Ethnizität oder Religion passiert.

Bei Diskriminierung von Frauen, die ein Kopftuch tragen, kommt noch ein Bezug zum Geschlecht der Betroffenen hinzu. Die GAW verzeichnete im Berichtszeitraum 2018/2019 etwa 100 Anfragen von Betroffenen und anderen interessierten Personen zu Diskriminierung von Frauen mit Kopftuch.

Diskriminierung innerhalb einer Zugehörigkeitsgruppe

Zudem zeigt der Fall von Frau F, dass Diskriminierung auch innerhalb einer Zugehörigkeitsgruppe verboten ist. Sowohl die Betroffene, als auch die Beschuldigte identifizieren sich als muslimisch und bosnisch. Frau M argumentiert, dass sie an gewissen Feiertagen auch selbst ein Kopftuch trage. Sie könne daher Frau F gar nicht diskriminieren. Die eigene Identitätszugehörigkeit kann jedoch nicht als Rechtfertigung für diskriminierende Belästigungen dienen. Die GBK hält diesbezüglich fest, dass es Diskriminierungen innerhalb von Ethnien oder Religionsgemeinschaften geben kann und das GlBG hier anwendbar ist. Die Entscheidung bildet daher ab, dass Zugehörigkeitsgruppen heterogen sind und ihre Angehörigen verschiedene Identitätsmerkmale haben.

Fazit

Der Fall von Frau F zeigt, dass es sich lohnen kann, den Weg vom Erstkontakt mit der GAW bis zur GBK-Entscheidung zu gehen. Das GBK-Verfahren ist kostenfrei und nicht öffentlich. Die Gleichbehandlungsanwält:innen stehen den Betroffenen im Verfahren unterstützend zur Seite. Wird eine Diskriminierung festgestellt, schlägt die Gleichbehandlungskommission Maßnahmen zum Ausgleich der Diskriminierung, wie einen Schadenersatz, vor. Das Prüfungsergebnis der GBK in diesem Fall stellt klar, dass der Diskriminierungsschutz auch für Angehörige von Zugehörigkeitsgruppen untereinander gilt.

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