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„Ich habe mich in der Situation sehr alleine gelassen gefühlt“ – Rassismus am Arbeitsplatz
Fall des Monats März 2023

Vorfall: Belästigung am Arbeitsplatz aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit

Frau Z ist langjährige Angestellte eines großen Unternehmens und hat ihr gesamtes Leben auf diesen Arbeitsplatz ausgerichtet. Ihr Wohnsitz befindet sich in der Nähe des Firmensitzes und ihre Kinder gehen zur nächstgelegenen Schule, damit sie ihr professionelles Leben und familiäre Verpflichtungen gut organisieren kann.

Als der rassistische Übergriff passiert, ist Frau Z gerade dabei mit Kolleg:innen eine Kundin zu betreuen. Eine weitere Angestellte betritt den Raum. Herr M, ein ebenfalls anwesender Mitarbeiter, fragt diese neu dazu gestoßene Kollegin, ob sie denn im Urlaub gewesen sei. Sie würde so braun aussehen – er verwendet in diesem Zusammenhang, das N*-Wort.

Frau Z, die Person of Colour ist (Person of Colour: ist eine internationale Selbstbezeichnung von/für Menschen mit Rassismuserfahrungen), interveniert trotz ihrer Fassungslosigkeit, und sagt, dass dieses Wort völlig unangebracht sei. Das anwesende Team und Herr M überspielen die Situation und unterstützen sie nicht. Der Vorfall ist zwar im Team bekannt, jedoch nimmt niemand Stellung, es gibt keine proaktive Aufarbeitung seitens der mehrheitlich weißen Kolleg:innenschaft.

Als Frau Z deswegen Versuche unternimmt, anzusprechen, dass solche Aussagen keinen Raum haben dürfen, und Maßnahmen einzufordert, fühlt sie sich mit der Situation sehr alleine gelassen. Ihr ist vor allem wichtig, dass die Geschäftsleitung sich hinter sie stellt, den vielen Personen der Belegschaft bekannten Vorfall offiziell kommentiert und sich gegenüber dem übergriffigen Mitarbeiter klar positioniert und Maßnahmen ergreift. Anstatt dessen wird das Ausmaß der Verletzung für die Betroffene immer wieder kleingeredet. Frau Z wird von verschiedenen Seiten unterstellt, dass sie überreagiere und die Thematik aufbausche.

Mit Herrn M möchte sie eigentlich nichts mehr zu tun haben. Dieser versucht aber mehrmals, spontan ein Einzelgespräch mit Frau Z zu führen, und will dieses schließlich dienstlich anordnen lassen. Frau Z fühlt sich letztendlich gezwungen, dieser Aufforderung nachzukommen und setzt zumindest durch, dass eine antirassistisch geschulte Vertrauensperson anwesend ist.

Als das Gespräch stattfindet, gesteht Herr M zwar ein, dass die Verwendung des Wortes falsch war. Er schildert, dass er sein Fehlverhalten offiziell gemeldet hat. Im gleichen Zug verharmlost er seine Aussage mit der Behauptung, dass dieses Wort in seiner Jugend geläufig und „völlig wertfrei“ gewesen sei. Er hinterfragt die Betroffenheit von Frau Z und spricht ihr ab, Schwarz genug zu sein, um sich betroffen zu fühlen. Darüber hinaus fragt er sie, ob ihre Reaktion vielleicht auch mit ihrer fordernden Situation als Alleinerzieherin zu tun hat. Er beklagt sich im Gespräch außerdem über den sozialen Druck, der wegen des Vorfalls auf ihm lastet.

Frau Z wurde damit ein weiteres Mal abgesprochen, dass ihr Ärger berechtigt ist und verdeutlicht, dass es für ihre Wahrnehmung, als eine der wenigen People of Colour im Unternehmen, kein Verständnis oder Solidarität gibt. Die Situation belastet sie psychisch sehr und Frau Z geht in Krankenstand.

Die Geschäftsführung bietet daraufhin an, ihr als Betroffene eine externe Supervision zu bezahlen, und verspricht, sich an das Team zu wenden. Ob, in welcher Form und mit welchen Inhalten das passiert, wird Frau Z zu keinem Zeitpunkt näher erläutert. Für den Mitarbeiter gibt es keine Sanktionen.

Auch die Kundin, die den Vorfall miterlebt hat, richtet eine Beschwerde an die Geschäftsführung. Gegenüber dieser wird der Vorfall bedauert. Die Geschäftsleitung vermittelt, dass sich das Unternehmen gegen jegliche Form von Diskriminierung und Rassismus ausspricht. Es wird nach außen hin versichert, dass die Situation bereits intensiv bearbeitet wird. Aber es ist genau die fehlende angemessene Aufarbeitung und die Konsequenzenlosigkeit des Vorfalls, die Frau Z zur Gleichbehandlungsanwaltschaft führt.

Rechtliche Hintergründe

Rassistische Belästigung und Abhilfeverpflichtung am Arbeitsplatz

Das Gleichbehandlungsgesetz (GlBG), auf dessen Grundlage die Gleichbehandlungsanwaltschaft berät, ist ein wichtiges Mittel zur Bekämpfung von Rassismus in der Arbeitswelt (§ 21 GlBG). Belästigung aufgrund von ethnischer Zugehörigkeit ist ein Tatbestand, der durch das GlBG verboten wird. Eine Verletzung des Diskriminierungsverbotes löst einen Schadenersatzanspruch aus.

Eine Belästigung liegt vor, wenn die Würde der betroffenen Personen verletzt wird, das Verhalten für die Person unerwünscht oder unangebracht ist. Der Tatbestand umfasst auch, dass durch die Belästigung ein für die betroffene Person einschüchterndes, feindseliges, entwürdigendes oder demütigendes Umfeld geschaffen oder bezweckt wird (§ 21 Abs 2 GlBG).

Es ist demnach völlig unerheblich, ob die gesetzte Handlung sich direkt gegen die betroffene Person richtet oder nicht, denn es geht um die konkreten Auswirkungen auf diese. Im vorliegenden Fall war die Aussage beispielsweise an eine andere Kollegin gerichtet. Aber sie wurde im Beisein von Frau Z getätigt – mit massiven Auswirkungen auf diese – und das ist der entscheidende Faktor für eine Belästigung. 

Außerdem ist für diesen Fall wesentlich, dass Arbeitgeber:innen die Verpflichtung haben, bei einer Belästigung angemessene Abhilfe zu schaffen (§ 21 Abs 1 GlBG). Diese Verpflichtung hat vor allem den Zweck, weitere Vorfälle zu verhindern.

Individueller Neustart, aber strukturelle Probleme bleiben ungelöst

Im Beratungsgespräch bei der Gleichbehandlungsanwaltschaft schildert Frau Z, dass ihre mehrmaligen Beschwerden und das Ausmaß der Vorfälle nicht ernst genommen worden sind. Für Herrn M bleibt der Fall konsequenzenlos. Die Geschäftsführung positioniert sich nicht.

Folgeversuche der Gleichbehandlungsanwaltschaft, bei der Geschäftsführung zu erreichen, dass diese Herrn M sanktioniert, scheitern. Die Leitung kommentiert den Vorfall in der internen Unternehmenskommunikation weiterhin nicht und nimmt den Fall auch nicht als Anlass, sich offiziell gegen jegliche Form von Diskriminierung und Rassismus auszusprechen.

Aufgrund der mangelnden Solidarität und Unterstützung der Geschäftsführung entscheidet sich Frau Z schließlich zu einer einvernehmlichen Vertragsauflösung.  Der Belästiger bleibt weiterhin im Unternehmen beschäftigt.

Der längere Krankenstand von Frau Z hat zu einem erheblich niedrigeren Einkommen geführt. Die Klientin verdient nämlich während der Krankschreibung nur ein Grundgehalt, und ihr entgehen die üblichen Zulagen und andere Zusatzverdienste. Die Gleichbehandlungsanwaltschaft unterstützt sie daher dabei, einen angemessenen Schadenersatz von den Arbeitgeber:innen einzufordern. Das verbessert die Situation von Frau Z allerdings nur bedingt: Sie hat ihr gesamtes Leben auf diese Stelle ausgerichtet (Wohnort, Standort der Schule ihrer Kinder), und muss dieses nun völlig neu aufstellen. Diese enormen Konsequenzen lassen sich nur schwer mit Geldwerten beziffern.

Die Parteien einigen sich auf vier Monatsgehälter Schadenersatz und einen zusätzlichen Betrag für die entstandene Würdeverletzung. Damit ist zumindest sichergestellt, dass Frau Z die Zeit für ihren beruflichen Neustart gut überbrücken kann.

Einem klaren Statement der Geschäftsführung zum Vorfall für die Mitarbeiter:innen und begleitenden Maßnahmen stimmen die Arbeitgeber:innen bis zum Schluss nicht zu.

Opfer-Täter-Umkehr und das Problem weißer Institutionen

Das Coaching, das Frau Z von der Geschäftsleitung zugesagt bekommt, ersetzt eine Abhilfe im Sinne des GlBG nicht. Eine adäquate Abhilfe würde nämlich unbedingt erfordern, dass Frau Z vor weiteren rassistischen Belästigungen geschützt worden wäre und Herr M in verhältnismäßiger Weise sanktioniert. Dafür hat das Unternehmen nicht gesorgt. Es ist schließlich ein weiterer Vorfall passiert, für den es keine Konsequenzen gegeben hat.

Der wichtigsten Forderung von Frau Z, einer Positionierung zur Geschäftsführung betreffend die Verwendung des N*-Wortes und Rassismus im Betrieb, wurde nicht nachgekommen. Dies wäre aber zentral gewesen, um es ihr zu ermöglichen, weiter im Unternehmen zu arbeiten. Anstatt dessen war Frau Z immer wieder damit konfrontiert, ihre Glaubwürdigkeit als Betroffene von Rassismus verteidigen zu müssen. In der Konfrontation mit dem Belästiger ging diese Dynamik sogar so weit, dass dieser ihre Betroffenheit völlig hinterfragt hat. Indem er sich über den sozialen Druck beklagt hat, der wegen des Vorfalls auf ihm lasten würde, hat sich der Belästiger außerdem als Opfer stilisiert.

Diese Dynamik bei Beschwerden über Rassismus in der Arbeitswelt ist sehr problematisch. Nach außen hin legte das Unternehmen Wert auf seinen Ruf. Das zeigt etwa die beschwichtigende Antwort an die Kundin, in der ganz klar gegen Rassismus Stellung bezogen wird. Nach innen hin wurde die Betroffene als hypersensibel und schwierig dargestellt, und ihre Anliegen sind nicht hinreichend ernst genommen worden. Die Geschäftsleitung hat die Beschwerde von Frau Z großteils ins Leere laufen lassen.  

Institutionen reproduzieren sich als weiße Institutionen nicht nur in dem, was sie tun, sondern auch in dem was sie nicht tun. Der große Widerstand der Geschäftsleitung gegen Maßnahmen für Abhilfe und der unproduktive Umgang mit der Beschwerde von Frau Z sind sehr deutliche Beispiele dafür, wie stark sich weiße Räume und damit verbundene Rassismen auch über Nicht-Handeln re:produzieren. Auffällig ist an diesem Fall auch, dass der betroffenen Klientin sehr viel individuelle Verantwortung übertragen worden ist, obwohl die Arbeitgeber:innen eigentlich einen Fürsorgeauftrag gegenüber der Mitarbeiterin gehabt hätten.

In diesem Fallbeispiel wird deutlich, dass Rassismus eine starke strukturelle Dimension hat. Es geht nicht nur darum, dass Einzelne ihre Position reflektieren. Mindestens genauso wichtig ist, zu verstehen, dass Unternehmen als Organisationen einen Raum und Strukturen herstellen, die rassistisch, verletzend und ausschließend sein können. Es ist entscheidend, wie eine Arbeitsumgebung gestaltet wird und mit welchen Auswirkungen für die dort tätigen Menschen.