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Sexuelle Belästigung in der Fahrschule: Kenne Deine Rechte! Fall des Monats November 2022

Vorfall 

Frau B hat bei einer Fahrschule für die Vorbereitung auf die Führerscheinprüfung eine Kursgebühr in Höhe von € 1050.- bezahlt. Die 17-jährige Fahrschülerin absolviert die erste Übungsfahrt mit ihrem Fahrlehrer. Er kündigt ihr an: „Die erste Fahrt ist wie beim ersten Mal, da wirst du etwas nervös sein“. In der folgenden Fahrstunde erklärt er ihr, dass sie das Lenkrad so zärtlich wie ihren Freund halten soll. Dann weist er sie an, auf entlegene Schotterstraßen zu fahren, wo sie sich einen „schönen Ort“ suchen und dort halten würden.

Als Frau B die wiederholten Anweisungen, von der Bundesstraße auf entlegene Straßen zu fahren, ignoriert, beginnt der Fahrlehrer, ihren Oberschenkel und ihren Nacken zu berühren. Frau B will nur noch nach Hause und erklärt, dass sie die Fahrstunde bei sich zu Hause beenden will. Am Ende der Fahrstunde springt sie bei einer Kreuzung vor dem Haus ihrer Eltern aus dem Wagen und hört, wie der Fahrlehrer ihr nachruft, dass sie nicht so hysterisch sein soll und doch eh nichts gewesen sei…

Nach diesem Erlebnis geht Frau B. nicht mehr in die Fahrschule. Ihren Eltern teilt sie mit, dass sie Angst vor dem Fahren in der Nacht habe und daher den Fahrunterricht vorläufig unterbreche. Ungefähr zehn Monate nach dem Vorfall drängt ihre Mutter sie, den Fahrunterricht wiederaufzunehmen, da sonst die Kursgebühren verfallen. Daraufhin berichtet Frau B ihren Eltern von den Ereignissen, die wiederum den Geschäftsführer der Fahrschule anrufen und ihn auf die Vorfälle mit dem Fahrlehrer aufmerksam machen.

In diesem Gespräch meint der Geschäftsführer, dass es sich sicherlich um ein Missverständnis handle, da der Fahrschullehrer ein guter Mitarbeiter sei, der erfolgreich hunderte von Fahrschüler:innen ausgebildet habe und demnächst in Pension gehe.

Die Eltern sehen die Situation anders und fordern den Geschäftsführer auf, ihrer Tochter die Kursgebühren in Höhe von € 1050.- zurückzuzahlen. Als sich der Geschäftsführer lediglich bereit erklärt, € 500.- zurückzuerstatten, stellen die Eltern von Frau B klar, dass dies nicht akzeptabel sei, und verlassen die Fahrschule. Wenig später erhält Frau B ein Schreiben vom Rechtsanwalt des Fahrschullehrers, in dem eine sexuelle Belästigung bestritten wird und für jede weitere Behauptung einer sexuellen Belästigung rechtliche Schritte angekündigt werden.

Verlauf der Beratung

Frau B wendet sich zur Beratung und Unterstützung an die Gleichbehandlungsanwaltschaft, die ein Schreiben an den Geschäftsführer der Fahrschule richtet, in dem sie auf das Verbot der sexuellen Belästigungen beim Zugang zu Gütern und Dienstleistungen hinweist und um eine Stellungnahme ersucht.

Der Rechtsanwalt der Fahrschule antwortet, dass keine diesbezüglichen Erklärungen abgegeben werden könnten, solange kein rechtskräftiges Urteil über das dem Fahrschullehrer zur Last gelegte Verhalten vorliege.

Auf Wunsch von Frau B bringt die Gleichbehandlungsanwaltschaft daraufhin einen Antrag bei der Gleichbehandlungskommission ein, die überprüfen soll, ob eine sexuelle Belästigung beim Zugang zu Gütern und Dienstleistungen vorliegt.

Die Gleichbehandlungskommission kommt zum Ergebnis, dass der erhobene Vorwurf der verbalen und körperlichen sexuellen Belästigung in überzeugender Weise glaubhaft gemacht werden konnte. Die glaubwürdige mündliche Schilderung der Vorfälle durch Frau B spielt dabei eine zentrale Rolle.

Analyse aus Sicht der Gleichbehandlungsanwaltschaft

Die Berührungen des Fahrschullehrers an Nacken und Oberschenkel von Frau B sowie die sexuell konnotierten Aussagen sind eine sexuelle Belästigung im Sinne des Gleichbehandlungsgesetzes: Sexuelle Belästigung im Sinne dieses Gesetzes ist jedes Verhalten, das der sexuellen Sphäre zugehörig ist, die Würde der betroffenen Person verletzt und mit dem ein einschüchterndes, feindseliges, entwürdigendes, beleidigendes oder demütigendes Umfeld geschaffen wird.

Der Begriff "Verhalten" ist weit zu verstehen und umfasst neben verbalen Äußerungen auch nonverbale Ausdrucksweisen und körperliche Handlungen. Die Kommission stellte in vorliegendem Fall außerdem fest, dass auch der Geschäftsführer für das Fehlverhalten seiner Mitarbeiter:innen haftbar werden kann.

Die Rechtsfolge einer sexuellen Belästigung bei einer Dienstleistung ist der Ersatz des Vermögensschadens und mindestens 1000 Euro Schadenersatz für die erlittene persönliche Beeinträchtigung. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Würdeverletzung ausgeglichen werden und der Schadenersatz vor weiteren Belästigungen abhalten soll. Der Schadenersatz muss eine abschreckende Wirkung haben.

Gerade bei einem Fahrlehrer, der regelmäßig Frauen und Mädchen unterrichtet, die in einem Abhängigkeitsverhältnis zu ihm stehen, ist diese abschreckende Wirkung relevant.

Frau B hat Anspruch auf Ersatz aller finanziellen Schäden, die ihr durch die Belästigung entstanden sind – wie etwa die Kurskosten – sowie auf mindestens 1000 Euro als Ausgleich für den Vorfall.