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Muslim:innen am Wohnungsmarkt – mangelhafter Schutz Fall des Monats Februar 2020

Vorfall und Dokumentation durch die Gleichbehandlungsanwaltschaft

Familie U ist 2010 aus Palästina nach Österreich geflohen und hat seit Juli 2014 den Status als Asylberechtigte. Die Familie findet ein geeignetes Haus in einer Gemeinde im Weinviertel in Niederösterreich und schließt mit der Eigentümerin einen Kaufvertrag ab. Da die Familie seit weniger als 10 Jahren in Österreich lebt, muss die Grundverkehrsbehörde der NÖ Landesregierung den Kauf genehmigen. Im Rahmen dieses Verfahrens erklärt die Gemeinde, dass sie gegen den Erwerb des Hauses durch die Familie U ist. Die „Kulturkreise der islamischen und der westlichen Welt“ würden „in ihren Wertvorstellungen, Sitten und Gebräuchen weit auseinanderliegen“. 
Die Grundverkehrsbehörde entscheidet trotzdem im Sinne der Familie U, da diese ein dringendes Wohnbedürfnis hat. Die Gemeinde bekämpft diese Entscheidung, aber auch das NÖ Landesverwaltungsgericht entscheidet im Sinne der Familie U und der Kauf des Hauses kann Ende 2019 abgeschlossen werden. Die Familie hat auf Grund der negativen Stimmung im Dorf Angst um die Sicherheit ihrer Kinder und ist bis jetzt nicht in das Haus eingezogen. 

Hintergründe

Diskriminierung bei einer Dienstleistung

Das Gleichbehandlungsgesetz (GlBG) schützt grundsätzlich beim Zugang zu und der Versorgung mit Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen. Dienstleistungen im Sinne des GlBG sind zum Beispiel der Zugang zu einem Schwimmbad oder einem Club, eine Behandlung durch einen Masseur und auch der Zugang zu Wohnraum, welcher im GlBG ausdrücklich angeführt wird. Zu der Dienstleistung „Wohnraum“ im Sinne des GlBG zählen sowohl Miet-  als auch Kaufverträge. Allerdings ist der Diskriminierungsschutz hier im Vergleich zur Arbeitswelt nicht so umfassend: derzeit schützt das GlBG nur vor Diskriminierungen auf Grund des „Geschlechts“ und der „ethnischen Zugehörigkeit“ (Teil III GlBG, §§ 30ff.). Werden Personen beim Zugang zu Wohnraum auf Grund ihrer Religion oder Weltanschauung, ihres Alters oder ihrer sexuellen Orientierung diskriminiert, besteht kein Diskriminierungsschutz.

Regelungskompetenz des Bundes oder des Landes

Das GlBG ist nur auf Fälle anwendbar, die in die Regelungskompetenz des Bundes fallen. Für Fälle in der Regelungskompetenz der Länder gibt es neun unterschiedliche „LandesAntidiskriminierungsgesetze“ und entsprechende Beratungs- und Unterstützungseinrichtungen. Welche Fälle in der Bundeskompetenz liegen und welche in der Landeskompetenz ist durch die Kompetenzverteilung im Bundes-Verfassungsgesetz (BVG Art 10ff) geregelt. In der Praxis ist es häufig sehr schwierig festzustellen, ob ein Fall in die Landes- oder Bundeskompetenz fällt. So würde eine Diskriminierung durch eine Maklerin beim Zugang zu Wohnraum unter den Schutzbereich des GlBG fallen, da es sich um einen Fall im Bereich der Bundeskompetenz handelt. Wenn eine Diskriminierung, wie im beschriebenen Fall der Familie U im Rahmen des Bewilligungsverfahrens vor der Grundverkehrsbehörde erfolgt, ist von einer Landeskompetenz auszugehen. Dadurch wäre im vorliegenden Fall das Niederösterreichische Antidiskriminierungsgesetz 2017 (NÖADG 2017) anzuwenden. Es bedarf also einer verfassungsrechtlichen Betrachtung im Einzelfall, um festzustellen, welches Gesetz und auch welche Beratungs- und Unterstützungseinrichtung zuständig ist.

Muslim:innen bei Dienstleistungen unzureichend geschützt

Im beschriebenen Fall der Familie U versuchte der Bürgermeister auf Grund von Vorurteilen den Zugang zu Wohnraum zu verwehren. Er begründete die Ablehnung sowohl mit der muslimischen Religion als auch der daraus resultierenden Fremdartigkeit der Familie. Wie beschrieben wäre im vorliegenden Fall das NÖ ADG anzuwenden, welches vor Diskriminierungen auf Grund der ethnischen Zugehörigkeit, des Geschlechts, der Religion und Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Orientierung schützt. Eine Ungleichbehandlung auf Grund des muslimischen Glaubens kann sowohl unter den Diskriminierungsgrund der Religion als auch der ethnischen Zugehörigkeit fallen. Somit ist Familie U in diesem Fall geschützt. Sie hätte sich für Beratung und Unterstützung an die Niederösterreichische Antidiskriminierungsstelle wenden können.

Eine genau gleich gestaltete Ablehnung durch den:die Makler:in oder Eigentümer:in würde jedoch in den Anwendungsbereich des GlBG fallen und die Gleichbehandlungsanwaltschaft (GAW) wäre für die Beratung und Unterstützung zuständig. Das GlBG schützt im Gegensatz zum NÖ ADG nur vor Diskriminierungen auf Grund der „ethnischen Zugehörigkeit“ oder des „Geschlechts“ beim Zugang zu und der Versorgung mit Dienstleistungen. Da Ungleichbehandlungen auf Grund der Religion im GlBG nur im Bereich der Arbeitswelt verboten sind, ist fraglich, ob Familie U sich erfolgreich zur Wehr setzen könnte. Die GAW vertritt die Rechtsansicht, dass Formen des „anti-muslimischen Rassismus“ auch unter den Schutzbereich der „ethnischen Zugehörigkeit“ fallen. Von einer Diskriminierung auf Grund der „ethnischen Zugehörigkeit“ ist dann auszugehen, wenn die unterschiedliche Behandlung erfolgt, weil die Person als „fremd“ – also der regionalen Mehrheit als nicht zugehörig – angesehen wird (vgl RV 307 BlgNR 22. GP 14.). Personen muslimischen Glaubens erfahren regelmäßig Diskriminierungen, weil sie als „fremd“ wahrgenommen werden. Auch die Gemeinde argumentierte in ihrer Stellungnahme damit, dass die „Kulturkreise“ zu unterschiedlich wären. Es gibt jedoch auch gegenteilige Rechtsansichten, welche sich v.a. darauf berufen, dass Religion ein eigenes geschütztes Merkmal ist und diese im Bereich der Dienstleistungen eben nicht geschützt ist. Ob die Familie U also vor einer Diskriminierung durch den:die Makler:in oder Eigentümer:in mit der gleichen Begründung wie im tatsächlichen Fall geschützt wäre, ist fraglich.

Der Schutz von Muslim:innen vor Diskriminierung hängt wesentlich davon ab, ob ein Sachverhalt unter die Bundes- oder Landeskompetenz fällt. Während alle neun Bundesländer vor Diskriminierungen auf Grund der Religion beim Zugang zu und der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen schützen, ist dies auf Bundesebene nicht der Fall. Dieser unterschiedliche Diskriminierungsschutz wird von vielen Betroffenen und auch der GAW als vollkommen unsachlich gewertet.

Fazit

Stärkung der Schutzmöglichkeiten bei antimuslimischem Rassismus

Im Bereich des Schutzes vor antimuslimischem Rassismus bestehen Lücken. Eine groß angelegte Studie zu „Diskriminierungserfahrungen in Österreich“ belegte, dass muslimische Befragte zu 78% eine Diskriminierung in den letzten drei Jahren erlebt haben. Die Diskriminierungsmerkmale ethnische Zugehörigkeit und Religion treten häufig gemeinsam auf – die Betroffenen werden häufig auf Grund beider Merkmale gleichzeitig diskriminiert. Im Bereich „Wohnen“ gaben 35% der befragten Personen muslimischen Glaubens an auf Grund ihres Glaubens diskriminiert worden zu sein (SORA im Auftrag der AK; Daniel Schönherr / Bettina Leibetseder / Winfried Moser / Christoph Hofinger, 2019: Diskriminierungserfahrungen in Österreich. (Zugriff: 27.2.2020)). Zu beunruhigenden Ergebnissen bezüglich der Einstellung von Österreicher:innen gegenüber Muslim:innen kommt auch eine Untersuchung des Social Survey Österreich – über ein Drittel der Befragten steht Muslim:innen negativ gegenüber.

Die Miteinbeziehung von Religion in den Schutz bei Dienstleistungen ist dringend geboten. Es ist nicht nachvollziehbar, wieso Personen mit muslimischem Glauben im Bereich der Güter und Dienstleistungen nicht das gleiche Schutzbedürfnis haben sollten wie Personen, die aufgrund ihres Geschlechts oder ihrer ethnischen Zugehörigkeit Benachteiligungen erfahren. Den Mitgliedstaaten der EU steht es offen, den durch die Richtlinien vorgegebenen Diskriminierungsschutz auszuweiten. Österreich erfüllt nur den EU-Mindeststandard. 32 von 36 EQUINET-Mitglieder (EQUINET ist ein als Verein organisierter, europaweiter Zusammenschluss von Gleichbehandlungsstellen.) schützen vor Diskriminierungen auf Grund der Religion außerhalb der Arbeitswelt. Neben Österreich gibt es nur in Estland, Griechenland und Spanien keinen Schutz in diesem Bereich (Equinet Brochure 2020 [Zugriff: 10.06.2021]).

Auch die Antidiskriminierungsgesetze in allen neun Bundesländern schützen vor Diskriminierungen auf Grund der Religion außerhalb der Arbeitswelt. Das unterschiedliche Schutzniveau führt zu der für Betroffene nicht nachvollziehbaren Situation, dass nur bei minimal unterschiedlichen Diskriminierungstatbeständen Schutz besteht oder nicht. Zusätzlich stehen die Beratungseinrichtungen in jedem Einzelfall vor der schwierigen Frage, welchem Kompetenztatbestand der Sachverhalt zuzuordnen ist. Es sind dann nicht nur andere Gesetze mit unterschiedlichen Schutzbereichen anzuwenden, sondern auch andere Beratungseinrichtungen zuständig - eine für Betroffene und Beratungseinrichtungen sehr unbefriedigende Situation.