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Massiver Anstieg antisemitischer Übergriffe in Österreich seit dem 7. Oktober 2023

Bereits für das Jahr 2022 verzeichnete die Antisemitismus-Meldestelle der IKG Wien die bisher zweithöchste Zahl an gemeldeten antisemitischen Übergriffen seit Beginn ihrer Dokumentation: insgesamt wurden in diesem Jahr mehr als 700 und damit ungefähr zwei Vorfälle pro Tag gemeldet.1 Auch europaweit wurde - insbesondere seit dem Ausbruch der Covid-19 Pandemie - ein Anstieg von Antisemitismus registriert, der sich vor allem online in Hasskommentaren und -Nachrichten niederschlug.2  

Nach dem 7. Oktober 2023 kam es zu einer massiven Eskalation der Zahlen:  Laut Jahresbericht für 2023 der Antisemitismus-Meldestelle der Israelitischen Kultusgemeinde stieg die Zahl der dokumentierten antisemitischen Vorfälle um fast 60% im Vergleich zum Vorjahr.

Der gravierende Anstieg der Meldungen erfolgte nach dem Massaker vom 7. Oktober 2023, als Terroristen der Hamas mehr als 1.100 Menschen in Israel ermordet und über 200 Personen verschleppt hatten. Im Zuge des Anschlages war auch massive sexualisierte Gewalt gegen Frauen verübt worden. In der internationalen Öffentlichkeit folgte auf die Anschläge ein massiver Anstieg antisemitischer und terrorverherrlichender Reaktionen, so auch in Österreich. Es wurde eine Fensterscheibe eines koscheren Lebensmittelgeschäfts eingeschlagen; der jüdische Teil des Zentralfriedhofes durch Brandstiftung und Beschmieren mit Hakenkreuzen geschändet, eine israelische Fahne vom Stadttempel in Wien gerissen und in mehreren Schulen jüdische Schulkinder massiv eingeschüchtert. Wiederholt wurden on- und offline antisemitische und die Shoah glorifizierende Hassbotschaften verzeichnet. (OTS vom 22.10.2023, abrufbar unter Antisemitismus-Meldestelle: Signifikante Zunahme antisemitischer Vorfälle in Österreich seit Hamas-Massaker | Israelitische Kultusgemeinde, 22.10.2023 (ots.at).)

Das Angebot der Antisemitismus-Meldestelle der IKG ist insbesondere im letzten halben Jahr massiv in Anspruch genommen worden:  Betroffene und Zeug:innen können hier antisemitische Vorfälle melden, angeboten werden aber auch die Beratung und Begleitung der Anzeigeerstattung bei der Polizei, die Vermittlung an das Psychosoziale Gesundheitszentrum  ESRA, sowie das Einschreiten bei Betreibern Sozialer Netzwerke oder die Intervention in Schulen. 

Auch die Gleichbehandlungsanwaltschaft bietet Betroffenen von antisemitischen Übergriffen Beratung und Unterstützung an. Sie orientiert sich dabei an der Arbeitsdefinition von Antisemitismus der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA), wonach „Antisemitismus eine bestimmte Wahrnehmung von Juden und Jüdinnen ist, die sich als Hass gegenüber Juden und Jüdinnen ausdrücken kann. Antisemitismus richtet sich in Wort und Tat gegen jüdische oder nicht-jüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen und religiöse Einrichtungen.“3

Rechtlicher Schutz

Das Gleichbehandlungsgesetz verbietet seit 2004 Diskriminierung aufgrund der Religion und der ethnischen Zugehörigkeit. Der Schutz vor Diskriminierung nach dem Gleichbehandlungsgesetz gilt in der gesamten privatwirtschaftlichen Arbeitswelt. Rassistische Diskriminierung ist darüber hinaus in weiteren Lebensbereichen verboten, wie zum Beispiel beim Wohnen, in der Schule oder bei Freizeiteinrichtungen. 

Die Gleichbehandlungsanwaltschaft fordert schon seit langem eine Ausweitung des Diskriminierungsverbotes, sodass in allen Bereichen des Gleichbehandlungsgesetzes unter anderem auch Schutz vor Diskriminierung aufgrund der Religion besteht. Ein entsprechender europäischer Richtlinienentwurf liegt bereits seit 2008 vor.

Katharina von Schnurbein, Antisemitismusbeauftragte der Europäischen Kommission, betont die Wichtigkeit, Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Antirassismus und Antisemitismus wahrzunehmen.4 Auch wenn es viele Überschneidungen gibt, ist es äußerst wichtig die Spezifität von Antisemitismus zu erkennen, um diesen erfolgreich zu bekämpfen. Das zeigt auch die Studie der europäischen Agentur für Grundrechte zu „Erfahrungen und Wahrnehmungen im Zusammenhang mit Antisemitismus, Zweite Erhebung zu Diskriminierung und Hasskriminalität gegenüber Jüdinnen und Juden in der EU“.5

Die Europäische Kommission legte im Oktober 2021 erstmalig eine EU-Strategie zur Bekämpfung von Antisemitismus und zur Förderung jüdischen Lebens (2021 – 2030) vor.6 Ziel ist die Verhütung und Bekämpfung aller Formen von Antisemitismus, der Schutz und die Förderung jüdischen Lebens in der EU sowie die Aufklärung, Forschung und das Gedenken an den Holocaust. In Österreich wurde - ebenfalls 2021 - eine nationale Strategie gegen Antisemitismus (NAS) festgeschrieben.7  Auf internationaler Ebene initiierte Österreich die „European Conference on Antisemitism“ (ECA). Sie besteht aus einer Gruppe von EU-Mitgliedstaaten, die eine verstärkte Umsetzung der EU-Strategie anstrebt. Bei einem Treffen der Mitgliedsstaaten am 18. Mai 2022 wurde die "Vienna Declaration/Wiener Deklaration" unterzeichnet, um eine bessere Vergleichbarkeit und den Austausch von Daten zu forcieren.

Wie kann die Gleichbehandlungsanwaltschaft unterstützen?

Die Gleichbehandlungsanwaltschaft berät vertraulich und kostenfrei. Wir prüfen – an Hand eines intersektionellen Ansatzes – in einem ersten Schritt, ob ein antisemitischer Vorfall vom Gleichbehandlungsgesetz umfasst ist. Bei unserer Beratung bieten wir eine rechtliche Einschätzung. Vermuten wir einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot, besprechen wir gemeinsam mit den Menschen, die sich an uns wenden, welche rechtlichen Schritte möglich und gewünscht sind.

Geringe Anzahl an Meldungen antisemitischer Vorfälle - hohe Dunkelziffer

Die bisher relativ geringe Zahl an Meldungen antisemitischer Diskriminierung an die Gleichbehandlungsanwaltschaft spiegelt keinesfalls die tatsächlichen Vorkommnisse wieder. Vielmehr ist von einem Underreporting auszugehen, wie auch die eingangs bereits erwähnte Studie der Agentur für Grundrechte8 zeigt, wonach 80% der Befragten, die antisemitische Diskriminierung erlebten, den Vorfall keiner Organisation meldeten. Die Hälfte davon gab als Grund für die Nicht-Meldung an, sie wären davon ausgegangen, es würde sich nichts ändern.

Auch dann, wenn antisemitische Vorfälle nicht vom Schutz des Gleichbehandlungsgesetzes umfasst sind – wie strafrechtlich relevante Taten oder Hass im Netz - können diese bei der Gleichbehandlungsanwaltschaft gemeldet werden. Eine Meldung kann von Betroffenen selbst oder von Zeug:innen – auch anonym – ganz einfach über unser Melde- und Kontaktformular erfolgen. Wir dokumentieren jeden Vorfall. Alle zwei Jahre zeigen wir in unserem Bericht an das Parlament die gemeldeten Fälle anonymisiert auf und machen so darauf aufmerksam, in welchen Lebensbereichen Diskriminierung vorkommt, in welcher Häufigkeit Ungleichbehandlung gemeldet wird und welche (rechtlichen) Verbesserungen beim Schutz vor Diskriminierung notwendig sind. 

Auch wenn keine weiteren rechtlichen Schritte gewünscht sind, eine Meldung des antisemitischen Vorfalls ist ein wichtiger Beitrag, um Antisemitismus aufzuzeigen.

Quellen und Verweise

1 Alle Jahresberichte sind abrufbar unter www.antisemitismus-meldestelle.at
2 The rise of antisemitism online during the pandemic - Publications Office of the EU (europa.eu)
3 Definition of antisemitism | European Commission (europa.eu)
4 Equinet Workshop: Equality bodies combating antisemitism – Equinet (equineteurope.org)
5 Experiences and perceptions of antisemitism - Second survey on discrimination and hate crime against Jews in the EU | European Union Agency for Fundamental Rights (europa.eu)
6 EU Strategy on combating antisemitism (europa.eu)
7 Nationale Strategie gegen Antisemitismus (parlament.gv.at), siehe Umsetzungsbericht der NAS für das Jahr 2022 Umsetzungsbericht 2022 (PDF, 6 MB)
8 Experiences and perceptions of antisemitism - Second survey on discrimination and hate crime against Jews in the EU | European Union Agency for Fundamental Rights (europa.eu)

Zu den Autorinnen des Blogeintrags

Mag.a Rosmarie Zauner, E.MA und Mag.a Ulrike Salinger arbeiten als Gleichbehandlungsanwältinnen in der GAW. Sie sind unter anderem in der Vernetzung mit der jüdischen Community in Österreich tätig.