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Schützt das Gleichbehandlungsrecht 24h-Betreuer:innen?

Eine 24h-Betreuerin wehrt sich gegen sexuelle Belästigung

Die Covid-19-Pandemie lenkte den Fokus auf systemkritische Berufe, zum Beispiel im Bereich der Pflege und Betreuungsarbeit, welche überwiegend von Frauen geleistet wird. Laut der Interessengemeinschaft der 24h-Betreuer:innen (IG-24) müssen 24h-Betreuungskräfte tatsächlich 24h am Tag, sieben Tage die Woche, zwei bis vier Wochen am Stück für ihre Klient:innen da sein, und das für zwei bis drei Euro pro Stunde (mehr dazu unter https://ig24.at/ig24-pflege-gerichtsprozess/).

Das Machtungleichgewicht zwischen einer 24h-Betreuerin und den Vermittlungsagenturen ist eklatant. Die durch mangelnden rechtlichen Schutz gekennzeichnete Vulnerabilität der Arbeitssituation von 24h-Betreuungskräften führt zu einem erhöhten Risiko von Ausbeutung und dem Faktum, dass Rechte, um sich dagegen zur Wehr zu setzen, selten in Anspruch genommen werden.

Frau A, tätig als 24h-Betreuerin, ist eine der wenigen mutigen Frauen, die sich gegen sexuelle Belästigungen durch den Mann, den sie zu betreuen hat, wehrt. Sie verfügt über einen Gewerbeschein und ist als selbständige 24h-Betreuerin beschäftigt. Zwischen einer Vermittlungsagentur und Frau A besteht ein Organisationsvertrag, in dem ausdrücklich festgehalten ist, dass Frau A selbständig beziehungsweise freiberuflich tätig ist.

Der zu betreuende Mann fordert Frau A auf, mit ihm in seinem Bett zu schlafen und sexuelle Handlungen an ihm vorzunehmen. Er berührt sie immer wieder über ihrer Kleidung am Gesäß, zwischen den Beinen und an der Vulva. Er zieht wiederholt seine Hose herunter, entblößt seinen Penis und masturbiert vor ihr. Frau A teilt ihm mehrmals mit, dass sie als seine Betreuerin beschäftigt ist und er diese Handlungen unterlassen soll.

Frau A sucht Unterstützung bei der Gleichbehandlungsanwaltschaft und erstattet auch Anzeige wegen sexueller Belästigung gemäß § 218 Strafgesetzbuch bei der Polizei. Von der rechtsfreundlichen Vertretung des Betreuten wird Demenz eingewendet. Schließlich kommt es – nach erfolgter Intervention durch die Gleichbehandlungsanwaltschaft – zur Zahlung einer Entschädigung außerhalb eines Gerichtsverfahrens.

Rechtliche Herausforderungen

24h-Betreuer:innen arbeiten formal überwiegend als Selbständige. Auf Basis eines Vertrages mit einer Vermittlungsagentur, welcher häufig auch Konkurrenzklauseln und Wettbewerbsverbote beinhaltet, werden den Betreuer:innen pflegebedürftige Personen vermittelt. Es besteht somit meist eine persönliche und wirtschaftliche Abhängigkeit von der Vermittlungsagentur, sodass sich die Frage nach einer „Scheinselbständigkeit“ aufdrängt. Die IG-24 will diese Frage gerichtlich klären lassen.

Das Diskriminierungsverbot nach dem Gleichbehandlungsgesetz gilt unter anderem für Beschäftigungsverhältnisse von Personen, die, ohne in einem Arbeitsverhältnis zu stehen, im Auftrag und für Rechnung bestimmter Personen Arbeit leisten und wegen wirtschaftlicher Unselbständigkeit als arbeitnehmer:innenähnlich anzusehen sind. Auch bei der Gründung, Einrichtung oder Erweiterung eines Unternehmens sowie der Aufnahme oder Ausweitung jeglicher anderen Art von selbständiger Tätigkeit ist es anwendbar.

Die Gleichbehandlungsanwaltschaft erachtet es für essentiell, dass politisch geklärt wird, ob die Vertragsverhältnisse, in welchen sich 24h-Betreuer:innen befinden, tatsächlich Arbeitsverhältnisse sind – und welche Regeln betreffend den Schutz vor Gewalt und Belästigung auf diese Verträge Anwendung finden.

Die Grenze zum Strafrecht

Fest steht jedenfalls: Verbotene sexuelle Belästigung im Sinne des Gleichbehandlungsgesetzes meint ein Verhalten, das zur sexuellen Sphäre gehört, die Würde verletzt, für die betroffene Person unerwünscht ist und ein einschüchterndes Arbeitsumfeld schafft. Sexuelle Belästigung ist sowohl nach dem Gleichbehandlungsgesetz als auch nach dem Strafrecht verboten, wobei unterschiedliche Voraussetzungen, Konsequenzen und Verfahren gelten (Factsheet sexuelle Belästigung (PDF, 62 KB)).

Das Strafrecht ist das härteste Mittel der Rechtsordnung, weshalb in diesem Bereich ein höheres Beweismaß gilt und nur besonders schwere Fälle sexueller Belästigung erfasst sind. Es ist daher möglich, dass eine Anzeige bei der Polizei und ein Verfahren nach dem Gleichbehandlungsgesetz einen unterschiedlichen Ausgang nehmen. Nur weil ein Strafverfahren eingestellt wird, bedeutet dies nicht, dass keine gesetzliche Pflicht zum Schutz sexuell belästigter Personen in Arbeitsverhältnissen besteht.

Umgang mit sexueller Belästigung in Institutionen

Das Thema der sexuellen Belästigung als eine Form von Gewalt im Kontext von Pflege und Betreuung wurde auf institutioneller Ebene bereits vom Dachverband der Wiener Sozialeinrichtungen bearbeitet. Dazu wurden Handlungsanleitungen erstellt und die Aufgaben und Möglichkeiten der unterschiedlichen Akteur:innen (zu betreuende Personen, Arbeitnehmer:innen, Angehörige und Arbeitgeber:innen) aufgezeigt.

Aus Sicht der GAW ist es wichtig, dass es hier ein Bewusstsein dafür gibt, dass sexuelle Belästigung im Pflege- und Betreuungskontext Thema ist und Verantwortungen in unterschiedlichste Richtungen, gegenüber zu Betreuenden wie Betreuer:innen bestehen (mehr dazu in Handlungsleitlinien Pflege und Betreuung, Teil 3: Aggressions-, Gewalt- und Deeskalationsmanagement; Hrsg: Dachverband der Wiener Sozialeinrichtungen, Juni 2018, Version 1.0).

Sichtweisen und Entwicklungen auf europäischer Ebene

Die Covid-19-Pandemie zeigte die vielschichtigen und intersektionalen Ungleichbehandlungen, denen Betreuer:innen in der häuslichen Pflege täglich ausgesetzt sind, noch einmal deutlicher auf. 2021 veröffentlichte Equinet, das Netzwerk der europäischen Gleichbehandlungsstellen, einen Bericht (Domestic and Care Workers in Europe: An Intersectional Issue) zum Thema Diskriminierung von Betreuer:innen in der häuslichen Pflege. Dieser nimmt die vielfältige Lebenswelt von 24h-Pflegekräften mit einem intersektionalen Ansatz im Lichte der Gleichbehandlung der Geschlechter in den Fokus. Die Mehrheit der Pflegenden in Europa sind Frauen, oft Migrant:innen, in ungeschützten Arbeitssituationen. Ihr Alltag ist – quer durch Europa – meist geprägt von prekären Arbeitssituationen, Unterbezahlung, erschwertem Arbeitsmarktzugang, einem sub-optimalen System von Gesundheitsschutz, Sprachbarrieren, nicht ausreichender Anerkennung ihrer im Herkunftsland erworbenen Ausbildungen und einem erhöhten Risiko, der Gefahr sexueller Belästigung und Gewalt ausgesetzt zu sein.

Seitens der EU-Kommission wurde im September 2022 eine europaweite Pflegestrategie veröffentlicht (A European Care Strategy for caregivers and care receivers - Employment, Social Affairs & Inclusion - European Commission (europa.eu). Diese soll dazu beitragen, einerseits die Situation der Pflegenden und andererseits auch die Qualität der Betreuung von Pflegebedürftigen zu verbessern. Als eine von mehreren vorgeschlagenen Maßnahmen sollen die Mitgliedstaaten die Arbeitsbedingungen der in der Pflege tätigen Menschen modifizieren.

Weiters wird empfohlen, das Übereinkommen Nr. 189 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) über menschenwürdige Arbeit für Hausangestellte zu ratifizieren und umzusetzen. Dieses legt weltweite Mindeststandards fest, um Missbrauch und Ausbeutung von Hausangestellten einzudämmen und verpflichtet zur Gewährleistung von fairen und menschenwürdigen Arbeitsbedingungen sowie zur Verhinderung von Missbrauch und Gewalt. Österreich hat dieses Übereinkommen bis dato nicht ratifiziert (Countries that have not ratified this Convention (ilo.org).

Der Gleichbehandlungsanwaltschaft ist es ein Anliegen, im Hinblick auf die vulnerable Arbeitssituation von 24h-Betreuer:innen auch die Aspekte Geschlechterdiskriminierung und intersektionale Benachteiligungen (Geschlecht und Herkunft) in den Fokus zu rücken. Alle Vorfälle, die der Gleichbehandlungsanwaltschaft gemeldet werden, tragen dazu bei, rechtliche Möglichkeiten, aber auch Schutzlücken aufzuzeigen und zu thematisieren.

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