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„Sie ist einfach nicht so flexibel!“ Fünf Ausreden für Einkommensdiskriminierung, die nicht gelten

Am 16. Februar 2023 ist Equal Pay Day in Österreich. Seit Jahresbeginn haben Frauen in Österreich im Vergleich zu Männern 47 Tage gratis gearbeitet. Der Gender Pay Gap verdeutlicht die nach wie vor großen geschlechterspezifischen Einkommensunterschiede, die auch hierzulande weiterbestehen.

Die Gleichbehandlungsanwaltschaft setzt sich seit über 30 Jahren für gleichen Lohn für gleiche oder gleichwertige Arbeit ein. Durch ihre langjähre Beratungserfahrung kennt sie die Begründungen, die Arbeitgeber:innen für unterschiedliche Entlohnung von Männern und Frauen anführen. Denn sie sind seit 30 Jahren sehr ähnlich. Allen ist gemeinsam, dass Geschlechterrollen und -erwartungen sich schlussendlich im Gehalt niederschlagen. In diesem Blog decken wir die fünf häufigsten Ausreden von Arbeitgeber:innen auf und erklären, warum sie diskriminieren.

Ausrede #1: „Sie hat einfach weniger Gehalt verlangt als ihr Kollege!“

Mit dieser Ausrede wälzt das Unternehmen seine gesellschaftliche und gesetzliche Verantwortung zur Gleichbehandlung auf Arbeitnehmerinnen ab. Auch wenn eine Mitarbeiterin im Aufnahmegespräch weniger Gehalt verlangt hat, sind Arbeitgeber:innen laut Oberstem Gerichtshof dazu verpflichtet, von sich aus das gleiche Entgelt wie einem männlichen Arbeitnehmer zu zahlen (zum Urteil).

Ausgangspunkt für die Entscheidung war der Fall einer Grafikerin, die denselben Job mit weniger Gehalt angetreten war, den zuvor ein Mann gemacht hatte. Das Unternehmen rechtfertigte den Gehaltsunterschied damit, dass die Mitarbeiterin ihr Gehalt eben nicht besser verhandelt hätte.

„Verhandlungsgeschick“ ist allerdings nur scheinbar ein neutrales Unterscheidungskriterium. Denn wie jemand verhandelt, hängt auch sehr stark davon ab, wie diese Person in der Gesellschaft positioniert ist und was sie aus dieser Position heraus überhaupt fordern kann. In der englischsprachigen Debatte nennt man dieses Phänomen ask gap. Geschlecht und ethnische Zugehörigkeit sind entscheidende Faktoren für diesen Gap. Eine Studie aus 2018 belegt beispielsweise, dass Männer mit deutlich höherem Selbstbewusstsein in Gehaltsverhandlungen gehen und aufgrund ihrer gesellschaftlichen Positionierung mit deutlich besseren Ergebnissen als Frauen aussteigen ("Follow-Up Studie: Gendertypische Verhandlungskompetenzen und ihre Auswirkungen auf Gehalts- und Aufstiegsverhandlungen" PDF, 2,4 MB).

Kann das Problem „einfach“ damit gelöst werden, dass Frauen in Verhandlungen selbstbewusster auftreten? Das ist leider nicht der Fall. Denn das selbstbewusste Verhalten, das einem Mann ein höheres Gehalt einbringt, kann, laut aktuellen Studien, bei einer Frau als unsympathisch angesehen werden und ihr schaden. Es ist eine Zwickmühle.

Wegen der strukturellen Benachteiligungen stellt der Oberste Gerichtshof fest, dass der gesellschaftliche Kontext bei Entgeltdiskriminierung immer mitberücksichtigt werden muss.

Ausrede #2: „Sie leistet weniger im Job als ihr Kollege!“

Auch beim Jobeinstieg hält sich das diskriminierende Klischee, dass Männer mehr als Frauen leisten würden. Diese geschlechterspezifische Diskriminierung hat u.a. Auswirkungen auf Einstiegsgehälter von Frauen oder schließt diese gar im Vorhinein von Jobs aus.

Auch dazu gibt es ein wichtiges Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH Brunnhofer C- 381/99), an dessen Zustandekommen die Gleichbehandlungsanwaltschaft maßgeblich beteiligt war. In diesem Diskriminierungsfall erhielt der männliche Kollege gleich beim Einstieg mehr Gehalt als seine Kollegin, die damals länger im Unternehmen beschäftigt war und vergleichbare Tätigkeiten ausführte. Das Unternehmen rechtfertigte das höhere Entgelt damit, dass der Mitarbeiter in Zukunft eine Führungsposition übernehmen würde, und seine Kollegin hingegen nicht.

Der EuGH stellt dazu fest, dass nicht einfach wegen Annahmen über zukünftige Leistungen, die noch gar nicht erbracht worden sind, schon bei der Einstellung mehr Gehalt bezahlt werden darf. Diese Leistungen können tatsächlich erst dann beurteilt werden, wenn sie wirklich sichtbar sind. Es ist daher klar verboten, Männern aufgrund ungerechtfertigter Vorschusslorbeeren mehr zu bezahlen.

Ausrede #3: „Er war einfach unser Wunschkandidat!“

Wenn die Konkurrenz am Markt hoch ist und der absolute Traumkandidat vorstellig wird, gibt es in Unternehmen häufig die Bereitschaft zur Überbezahlung. Schließlich hat der Bewerber auch andere gute Angebote bekommen und das Unternehmen möchte ihn unbedingt als Mitarbeiter gewinnen.

Was gilt, wenn im Unternehmen seit Jahren eine Mitarbeiterin arbeitet, die genau dasselbe leistet – und das für deutlich weniger Gehalt? Frauen werden beim beruflichen Aufstieg strukturell nach wie vor stark benachteiligt, was auch einen negativen Einfluss auf ihren Marktwert bei Gehaltsverhandlungen hat. Es ist grundsätzlich in Ordnung, Bewerber:innen wegen Fachkräftemangel mehr Gehalt zu bieten (EuGH C- 127/92 Enderby). Längerfristig sind solche Gehaltsunterschiede aber nicht gerechtfertigt. Unternehmen müssen daher die hohe Bezahlung des Wunschkandidaten auch auf die Mitarbeiterin übertragen, die schon länger im Unternehmen beschäftigt ist.

Wird mit dem Marktwert argumentiert, muss darüber hinaus auch dargelegt werden können, woraus sich dieser ergibt. Dieses Argument kann nicht pauschal jede Besserbezahlung rechtfertigen.

Ausrede #4: „Sie arbeitet oft kürzer als ihr Kollege und ist nicht so flexibel!“

Hohe zeitliche und räumliche Flexibilität sind bei Unternehmen häufig genannte Einstellungskriterien und oft auch ein Grund für bessere Bezahlung. In Österreich arbeiten immer noch deutlich mehr Frauen in Teilzeitarbeit als Männer. Frauen mit Kindern unter 15 Jahren sind zu 72,8% in Teilzeitbeschäftigung, Männer hingegen nur zu 6,8% (Vereinbarkeit von Beruf und Familie - STATISTIK AUSTRIA). Frauen übernehmen den Großteil der unbezahlten Sorgearbeit zu Hause (z.B. Pflege der Kinder und älterer Verwandte, putzen und kochen).

Von dieser strukturellen Ungleichverteilung von Carearbeit profitieren Männer stark und werden am Arbeitsmarkt eher bevorzugt. Häufig können sie flexibler sein, weshalb bei ihnen Bereitschaft zur Flexibilität auch eher angenommen wird. 

Rechtswidrig ist jedenfalls, eine Frau alleine auf Basis der Annahme nicht einzustellen, dass sie weniger flexibel sei als ein männlicher Bewerber. Um Geschlechterdiskriminierung vorzubeugen und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie sicherzustellen, ist es außerdem wichtig zu hinterfragen: ist die vom Unternehmen geforderte Flexibilität wirklich entscheidend für den Job? Der Europäische Gerichtshof hat dazu entschieden, dass Flexibilität nur vorausgesetzt und höher bezahlt werden darf, wenn es für den Job ausschlaggebend ist (EuGH Bilka C-170/84, EuGH Enderby C-127/92).

Eine Studie aus der Versicherungsbranche belegt, dass Frauen sich um 20% häufiger für Management-Posten und auch insgesamt öfter bewerben, wenn ausgeschriebene Stellen Teilzeitoptionen und flexible Arbeitszeitgestaltung vorsehen. Es lohnt sich daher für Unternehmen, Jobprofile zu überdenken und mit geschlechterstereotypen Anforderungen aufzuräumen. Es wäre außerdem dringend notwendig flächendeckende kostenfreie Kinderbetreuung in Österreich anzubieten. So könnten die Ursachen für die hohe Teilzeitbeschäftigung von Frauen an der Wurzel bekämpft werden. Im europäischen Vergleich schneidet Österreich hier aktuell sehr schlecht ab (Anmeldung im Kindergarten: “Ich bekomme keinen Kindergartenplatz” (moment.at)).

Ausrede #5: „Als Teilzeitkraft muss sie sich erstmal beweisen!“

Der unterschiedliche Umgang mit Teilzeitkräften und mit Vollzeitbeschäftigten ist eine große Herausforderung von geschlechtsspezifischer Entgeltdiskriminierung. Probezeiten sind dafür ein gutes Beispiel. Ein Kollege arbeitet Vollzeit im Unternehmen und seine Probezeit läuft nach einem Monat aus. Seine Kollegin, die in Teilzeit dieselbe Tätigkeit ausführt, muss sich hingegen doppelt so lange bewähren. Dem unterliegt die diskriminierende Annahme, dass sich Vollzeitkräfte schneller Fähigkeiten für eine Tätigkeit aneignen. Der Europäische Gerichtshof hat beschlossen, dass solche generalisierenden Annahmen über Teilzeitbeschäftigte nicht zulässig sind (EuGH Nimz C-184/89).

Was, wenn ich von Entgeltdiskriminierung betroffen bin?

Die Gleichbehandlungsanwaltschaft berät und unterstützt betroffene Frauen bei Entgeltdiskriminierungen. 2020/2021 konnten 57% der Equal Pay Fälle für Klientinnen erfolgreich abgeschlossen werden. In 42% der erfolgreichen Fälle konnte die Gleichbehandlungsanwaltschaft eine Gehaltserhöhung erwirken. In 33% konnten die betroffenen Frauen Dank der Beratung eine eigeninitiative Lösung mit den Arbeitgeber:innen finden. 25% der Fälle konnten mit einem Vergleich abgeschlossen werden. Das ist für Betroffene oft eine viel effektivere Strategie, als ein langjähriges gerichtliches Verfahren durchzufechten, vor allem wenn das Risiko besteht, auf den Prozesskosten sitzen zu bleiben. Das Thema Entgeltdiskriminierung beschäftigt die Gleichbehandlungsanwält:innen schon seit über 30 Jahren. Auch wenn sich ihre Tätigkeit inzwischen auf viele weitere Diskriminierungsphänomene ausgeweitet hat: die Forderung „Gleicher Lohn für gleiche oder gleichwertige Arbeit“ war eine der Gründungsvisionen der Gleichbehandlungsanwaltschaft. Es gibt deswegen bei der Gleichbehandlungsanwaltschaft viel Expertise, um diese geschlechterspezifische Form der Diskriminierung zu entlarven und um Betroffenen zu helfen, zu ihrem Recht zu kommen.