16 Tage gegen Gewalt an Frauen: Intersektionale Diskriminierung und Gewalt müssen entschlossen bekämpft werden Behindertenanwältin, Gleichbehandlungsanwaltschaft und Interessensvertretung Frauen* mit Behinderungen fordern umfassende Reformen zum Schutz von Frauen mit Behinderungen
Wien (OTS) - Im Rahmen der 16 Tage gegen Gewalt an Frauen machen die Anwältin für Gleichbehandlungsfragen für Menschen mit Behinderungen, Mag.a Christine Steger, die Gleichbehandlungsanwaltschaft und der Verein FmB – Interessensvertretung Frauen* mit Behinderungen auf gravierende Schutzlücken im österreichischen Antidiskriminierungsrecht aufmerksam.
Zwang zur Schlichtung belastet insbesondere Frauen mit Behinderungen massiv
Bevor Frauen mit Behinderungen ihre Rechte vor Gericht geltend machen können, müssen sie verpflichtend ein Schlichtungsverfahren durchlaufen. Dieses Verfahren ist jedoch nur für die diskriminierten Personen verpflichtend, nicht für die Diskriminierer:innen. Dadurch entsteht von Beginn an ein strukturelles Machtungleichgewicht, das sich besonders in Fällen von Belästigung deutlich zeigt.
In der Praxis kommt es zu wenig Schlichtungen wegen Belästigungen
Frauen mit Behinderungen müssen sich bei einer Schlichtung im Regelfall an einen Tisch mit ihrem Belästiger setzen. Dort sollen sie offen über ihre Gefühle reden. Das Ziel einer Schlichtung ist dabei nicht die Feststellung der Diskriminierung sondern das Erzielen eines Kompromisses. Wenn diese Abläufe im Detail dargelegt werden, entscheiden sich viele Frauen mit Behinderungen gegen eine Durchsetzung ihrer Rechte. In der Beratungspraxis der Anwältin für Gleichbehandlungsfragen für Menschen mit Behinderungen kommt es daher sehr selten zu Schlichtungen aufgrund von Belästigungen. Aus Angst vor potentiellen Retraumatisierungen entscheiden sich die meisten belästigten Personen gegen ein solches Verfahren.
„Unsere Beratungspraxis zeigt, dass es sich bei Belästigung nicht um ein Missverständnis handelt, bei dem Personen einen Kompromiss schließen wollen, sondern zumeist um eine Form der Gewalt“, betont Steger. „Es ist völlig unverständlich und widerspricht allen Opferschutzprinzipien, dass sich Frauen mit Behinderungen in einem solchen Setting erneut ihrem Belästiger stellen müssen. Auch deshalb entscheiden sich viele belästigte Personen gegen die Geltendmachung ihrer Rechte und Belästiger kommen davon, ohne Verantwortung für ihre Taten übernehmen zu müssen.“
Intersektionale Diskriminierung bleibt gesetzlich unsichtbar
Das österreichische Antidiskriminierungsrecht ist nicht darauf ausgelegt, intersektionale Diskriminierung zu erkennen und zu ahnden. Das Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz trennt streng zwischen Diskriminierung aufgrund von Behinderung und Diskriminierung aufgrund von Geschlecht und anderen Gründen. Gerade Frauen mit Behinderungen erleben jedoch eine spezifische Form der Benachteiligung, die aus dem Zusammenwirken beider Merkmale entsteht. Man spricht von Intersektionalität.
Die Anwältin für Gleichbehandlungsfragen für Menschen mit Behinderungen ist mit ihrem Büro vor allem auf Beratung bei Diskriminierung aufgrund einer Behinderung spezialisiert und die Gleichbehandlungsanwaltschaft auf alle anderen Diskriminierungsgründe. Eine gemeinsame Beratung und Rechtsdurchsetzung ist so organisatorisch nur schwer möglich, obwohl sie für intersektionale Fälle essenziell wäre.
„Frauen mit Behinderungen rutschen durch die Lücken zweier Systeme. Die strukturelle Trennung ignoriert ihre Lebensrealität und führt dazu, dass sie mit ihren Erfahrungen oft alleine gelassen werden“, kritisiert Steger.
Zusätzlich erschwert die institutionelle Struktur eine adäquate Beratung und Rechtsdurchsetzung. Während die Schlichtungen des Sozialministeriumservice auf Diskriminierungen aufgrund einer Behinderung ausgelegt sind und Referent:innen wenig Erfahrung mit den restlichen Diskriminierungsgründen haben, kann eine Diskriminierung aufgrund einer Behinderung nicht einmal vor den Gleichbehandlungskommissionen geltend gemacht werden.
„Diese Kommission stellt fest, ob eine Diskriminierung vorliegt“, erklärt Sandra Konstatzky, Leitung der Gleichbehandlungsanwaltschaft. Das Prüfungsergebnis hilft vor Gericht Rechtsansprüche durchzusetzen. Dass Diskriminierungen aufgrund von Behinderungen nicht vor der Gleichbehandlungskommission behandelt werden können, ist aus Sicht der Gleichbehandlungsanwaltschaft nicht nachvollziehbar: „Lebensrealitäten sind komplex und das muss auch im Recht abgebildet werden, wir brauchen hier Nachbesserungen.“
Lücken im Antidiskriminierungsschutz tragen zu erhöhter Gefährdung von Frauen* mit Behinderungen bei
Der Verein FmB – Interessensvertretung Frauen* mit Behinderungen setzt sich für Anti-Ableismus, Feminismus und Intersektionalität ein. „Intersektionale Diskriminierung kostet Frauen mit Behinderungen Sicherheit, Gesundheit und Zukunft,“ zeigt Julia Moser (Co-Vorsitzende FmB) auf. Frauen* mit Behinderungen sind überdurchschnittlich von Gewalt und intersektionaler Diskriminierung betroffen. „Frauen* mit Behinderungen brauchen Strukturen und Verfahren, die Betroffene unterstützen – nicht zusätzlich belasten,“ so Heidemarie Egger (Co-Vorsitzende FmB).
Was sich ändern muss
Vor diesem Hintergrund werden Reformen gefordert, die Frauen mit Behinderungen wirksam schützen und ihnen einen echten Zugang zu ihrem Recht ermöglichen:
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Freiwillige Schlichtung statt verpflichtender Verfahren
Schlichtungen müssen für beide Seiten freiwillig sein. Der direkte Zugang zu Gericht oder einer unabhängigen Kommission muss jederzeit möglich sein. -
Unabhängige Kommission für Diskriminierungen aufgrund von Behinderung
Eine neutrale, kostenfreie Instanz, analog zur Gleichbehandlungskommission, soll Feststellungen über Diskriminierungen treffen können. -
Gleichwertige Rechtsdurchsetzung für alle Diskriminierungsgründe
Diskriminierte Personen müssen unabhängig vom Diskriminierungsgrund dieselben rechtlichen Instrumente nutzen können, auch bei intersektionalen Fällen. -
Österreichweite Qualitätsstandards und traumainformierte Schulungen
Schlichtungsreferent:innen sollen einheitlich geschult werden, insbesondere in traumainformierter Gesprächsführung und im Umgang mit Gewaltbetroffenen. -
Bündelung der Antidiskriminierungsstellen in konsequenter Umsetzung der EU-Richtlinie zu den Standards für Gleichbehandlungsstellen
Die EU-Vorgaben zu Gleichbehandlungsstellen verlangen eine stärkere Bündelung der Aufgaben. Eine zentrale, barrierefreie Anlaufstelle würde Expertise zusammenführen und diskriminierten Personen den Zugang erleichtern.
Rückfragen & Kontakt
Anwältin für Gleichbehandlungsfragen für Menschen mit Behinderungen
Mag.a Christine Steger
Telefon: 066478761504
E-Mail: office@behindertenanwaltschaft.gv.at