Gleichbehandlungskommission stellt fest: Fehlende geschlechtsneutrale Anredeoption kann diskriminierend sein

P möchte online ein Ticket eines öffentlichen Verkehrsbetriebs kaufen. Um das zu tun, muss P allerdings zwingend zwischen der Anrede „Herr“ und „Frau“ wählen. P hat kein binäres Geschlecht und findet sich bei diesen Optionen nicht wieder. Die Gleichbehandlungskommission untersucht, ob eine Diskriminierung vorliegt.

Vorfall: Nur binäre Geschlechtsanrede in einem Formular

P möchte auf der Webseite eines Unternehmens ein Ticket kaufen. Um das zu tun, ist eine Anmeldung erforderlich, bei der man eine Anrede wählen muss. Dabei stehen ausschließlich „Herr“ und „Frau“ zur Auswahl. P hat kein binäres Geschlecht, verwendet eine geschlechtsneutrale Anrede und erlebt die Zuschreibung eines falschen Geschlechts im Alltag in unterschiedlichen Kontexten als massiv psychisch belastend und würdeverletzend. Da P das Ticket braucht, kauft P es dennoch und wählt dafür eine nichtzutreffende Anrede. P möchte aber erreichen, dass das Unternehmen die Auswahloptionen ändert und stellt daher einen Antrag bei der Gleichbehandlungskommission.

Rechtliche Hintergründe

Diskriminierungsschutz für trans, inter* und nicht-binäre Personen

Das Gleichbehandlungsgesetz (GlBG) verbietet gemäß § 31 Diskriminierungen auf Grund des Geschlechts beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen.

Der Diskriminierungsgrund „Geschlecht“ umfasst auch die Geschlechtsidentität, die Geschlechtsmerkmale und den Geschlechtsausdruck einer Person. Dies bedeutet, dass auch Diskriminierung aufgrund von Trans- und Intergeschlechtlichkeit oder Nicht-Binarität nach dem Gleichbehandlungsgesetz verboten ist. Der EuGH bejahte bereits in einer Entscheidung aus dem Jahr 1996, dass der Schutzgrund „Geschlecht“ auch trans Personen umfasst und ist seither bei dieser Judikaturlinie geblieben (vgl. EuGH 30. 4. 1996, C-13/94, Rs Cornwall; EuGH 27. 4. 2006, C-423/04, Rs Richards).

In Österreich hat der Verfassungsgerichtshof darüber hinaus 2018 geklärt, wie der Begriff „Geschlecht“ personenstandsrechtlich zu verstehen ist und festgehalten, dass „die geschlechtliche Identität und Selbstbestimmung“ in den Schutzbereich des Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) fällt (siehe VfGH 15.06.2018, G77/2018-9). Er konkretisiert: „Dieses von Art. 8 Abs. 1 EMRK gewährleistete Recht auf individuelle Geschlechtsidentität umfasst auch, dass Menschen – nach Maßgabe des Absatzes 2 dieser Verfassungsbestimmung – (nur) jene Geschlechtszuschreibungen durch staatliche Regelung akzeptieren müssen, die ihrer Geschlechtsidentität entsprechen.“ Der VfGH hält in dieser Entscheidung fest, dass das österreichische Personenstandsrecht Geschlechter abseits von „Mann“ und „Frau“ anerkennt.

P jedenfalls, hat kein binäres Geschlecht und findet sich in den Anredeoptionen „Herr“ oder „Frau“ nicht wieder.

Falsche Ansprache als „weniger günstige Behandlung“

Eine Diskriminierung aufgrund von Nicht-Binarität liegt gemäß § 31 GlBG dann vor, wenn eine Person aufgrund ihres Geschlechts benachteiligt und dadurch weniger günstig behandelt wird.

Die Gleichbehandlungskommission prüfte daher, ob der Zwang, eine binäre Anrede zu wählen eine „weniger günstige Behandlung“ im Sinne des Gesetzes darstellt und bejahte dies schließlich mit folgender Begründung: „Für das Vorliegen einer weniger günstigen Behandlung ist entscheidend, ob eine Person Nachteile erleidet oder erlitten hat. Wenn der Zugang zur Dienstleistung die Zuschreibung einer unzutreffenden Geschlechtsidentität erfordert, ist ein Nachteil jedenfalls zu bejahen“ (vgl GBK III/300/22 zu finden unter Einzelfallprüfungsergebnisse aus GBK Senat III).

Darüber hinaus zeigen psychologische Studien, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen der Häufigkeit, mit der Menschen falsch angesprochen werden (Misgendering), und dem Auftreten von Depressionen oder Stigmatisierung. Gleichzeitig sinken depressive Symptome und Suizidgefahr bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit jedem sozialen Umfeld – zu Hause, in der Schule oder am Arbeitsplatz – wo ihr korrekter Vorname sowie die von ihnen angegebene Anrede oder Pronomen verwendet werden. (Margaret Göth, Studienübersicht: Definition und Auswirkungen von Misgendern).

Da P, anders als Frauen und Männer, die Dienstleistungen des Unternehmens nicht in Anspruch nehmen konnte, ohne eine falsche Angabe zu machen, lagen die gesetzlich geforderten Voraussetzungen für eine Geschlechterdiskriminierung damit im Ergebnis vor.

Die Gleichbehandlungskommission verneinte die Diskriminierung schließlich lediglich deshalb, weil sie die Ausnahmebestimmung des § 33 GlBG für anwendbar erachtete. Es sei gerade noch verhältnismäßig, dem Unternehmen ein halbes Jahr Zeit für die Umsetzung ihres Ziels der „Schaffung einer gemeinsamen gleichbehandlungskonformen Ticketplattform für den öffentlichen …verkehr in ganz Österreich“ zu geben. Die hohe Komplexität im konkreten Fall sowie die Zusage einer Umsetzung in einer bestimmten Zeit waren mitunter ausschlaggebend dafür, dass die Kommission die Ausnahmebestimmung für anwendbar sah.

Bedeutung des Ergebnisses

Auch wenn die Entscheidung der Kommission im konkreten Fall negativ ausfiel, lässt sich aus dieser ableiten, dass Unternehmen in aller Regel sicherstellen müssen, dass eine geschlechtsneutrale Anredeoption zur Verfügung steht. Andernfalls ist eine Diskriminierung aus Sicht der Gleichbehandlungskommission zu bejahen.

Gemäß § 38 Abs 1 GlBG haben betroffene Personen dann einen Anspruch auf Ersatz des Vermögensschadens und eine Entschädigung für die erlittene persönliche Beeinträchtigung. Die österreichische Rechtslage ermöglicht es derzeit leider nicht – wie es eigentlich Ps primäres Anliegen gewesen wäre – auf Unterlassung weiterer Diskriminierungen zu klagen und beschränkt die Handlungsoptionen betroffener Personen auf die Geltendmachung von Schadenersatz.

Rechtliche Einordnung mit Blick über die Grenzen

Anderes gilt in Deutschland, wo ein im Grunde identer Sachverhalt kürzlich mit ähnlichem Ergebnis rechtskräftig entschieden wurde: Der deutsche Bundesgerichtshof wies mit 27.08.2024 die Beschwerde einer Vertriebsgesellschaft zurück, welche geklagt worden war, da die Kundschaft beim Ticketkauf zwischen der Anrede „Herr“ oder „Frau“ wählen musste (zum Beschluss).

Das Unternehmen wurde rechtskräftig dazu verpflichtet, binnen einer Frist von rund sechs Monaten den Zwang zur Abgabe einer Anrede als Herr oder Frau zu beenden und 1 000 Euro Entschädigung an die betroffene Person zu leisten. Die Parallelen zur Beurteilung der Gleichbehandlungskommission sind unverkennbar.

Beim Europäischen Gerichtshof ist derzeit darüber hinaus ein datenschutzrechtliches Verfahren gegen das französische Bahnunternehmen SNCF anhängig. Auch in diesem Verfahren geht es darum, dass man über Website und Apps Fahrkarten nur dann kaufen kann, wenn man zwischen den Anredeoptionen „Herr“ oder „Frau“ wählt. Die klagende Partei argumentiert, dass SNCF diese Daten nicht erheben dürfe oder zumindest alternative Anredemöglichkeiten – wie die Option „neutral“ oder „sonstige“ – anbieten müsse. Die Entscheidung des EuGH steht noch aus, der Generalanwalt Maciej Szpunar sprach sich in seinen Schlussanträgen jedoch für das Vorliegen eines DSGVO-Verstoßes aus.

Fazit

Das Prüfungsergebnis der GBK reiht sich kongruent ein in einen Kanon von alten und jüngeren Entscheidungen, die bereits bestehende Rechte von trans, nicht-binären und inter*Personen in unterschiedlichen Rechtsmaterien konkretisieren, ausformen und auf Einzelfälle herunterbrechen – und steht damit aus juristischer Sicht „auf den Schultern von Riesen“.

Auf Grundlage der Entscheidung ist Unternehmen jedenfalls zu empfehlen, zu evaluieren, ob die zwingende Abfrage einer Anrede notwendig ist. Möchte man die individualisierte Anrede beibehalten, scheint jedenfalls geboten, eine geschlechtsneutrale Option hinzuzufügen.

Weiterführende Informationen

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