Umarmungen und Kussversuch: Chef nach sexueller Belästigung entlassen
Der Fall des Monats beschäftigt sich mit Sexismus und sexueller Belästigung am Arbeitspletz. Die Gleichbehandlungsanwaltschaft geht erfolgreich im Sinne des Gleichbehandlungsgesetzes dagegen vor.
Vorfall und Beratung
Frau S arbeitet seit elf Jahren im selben Unternehmen. Sie ist Assistentin des Geschäftsführers, Herrn P, hat ein gutes Arbeitsverhältnis zu ihm und mag ihren Job sehr. Nach und nach beginnt sich die Beziehung mit ihrem Chef jedoch zu verändern: Herr P erzählt ihr von sehr privaten Angelegenheiten, sucht ihre Nähe und versucht mehrmals, sie zu umarmen. Für Frau S ist spätestens dann eine Grenze überschritten, als ihr Chef sie um ein Gespräch im Park bittet, nach ihrer Hand greift und versucht, sie zu küssen.
Frau S fühlt sich durch die Situation sehr belastet, die Übergriffe setzen ihr zu. Sie schafft es, Herrn P deutlich zu machen, dass sie keine Beziehung mit ihm eingehen will. Frau S befürchtet, dadurch ihren Job zu verlieren oder ungerecht behandelt zu werden.
Die Befürchtung bewahrheiten sich: Telefonterror, herablassendes Verhalten und Mobbing. Herr P beginnt, die Arbeit von Frau S zu kritisieren, führt sie vor anderen Kolleg:innen vor und unterstellt ihr Unwahrheiten. Frau S vertraut sich dem Stellvertreter ihres Chefs an, der ihr Unterstützung anbietet. Beide treten mit der Gleichbehandlungsanwaltschaft (GAW) in Kontakt.
Die GAW rät zu einem Gespräch mit dem Aufsichtsrat und bereitet ein Interventionsschreiben vor. Eine glaubhafte Schilderung und Chatverläufe von unangebrachten Nachrichten veranlassen den Aufsichtsrat, rasch zu handeln: Herr P wird entlassen, Frau S wird in eine neue, gleichwertige Stelle versetzt.
Rechtliche Hintergründe
Sexuelle Belästigung und Abhilfeverpflichtung
Das Gleichbehandlungsgesetz (GlBG) verbietet Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts im Zusammenhang mit einem Arbeitsverhältnis (§ 3 GlBG). Sexuelle Belästigung ist eine Form von Diskriminierung aufgrund des Geschlechts und daher nach dem GlBG verboten (§ 6 GlBG). Nach den glaubhaften Informationen, die der GAW vorliegen, wurde Frau S an ihrem Arbeitsplatz regelmäßig sexuell belästigt. Um die erlebte Würdeverletzung auszugleichen, hat Frau S einen Anspruch auf mindestens 1.000 Euro Schadenersatz.
Außerdem verpflichtet das GlBG Arbeitgeber:innen dazu, bei sexueller Belästigung angemessene Abhilfe zu schaffen und Handlungen zu setzen, die weitere Belästigungen verhindert. Im Fall von Frau S ist der Geschäftsführer selbst der Belästiger. Der Oberste Gerichtshof (OGH) hat in einer Entscheidung (9 Ob A 18/08 z, sowie 9 Ob A 118/11k) anerkannt, dass es in Fällen wie dem vorliegenden nicht sinnvoll wäre, vom Geschäftsführer selbst Abhilfe zu verlangen. Demnach muss eine Gesellschaft für sexuelle Belästigung durch den Geschäftsführer direkt einstehen.
Verletzung des Benachteiligungsverbots
Arbeitnehmer:innen dürfen als Reaktion auf eine Beschwerde seitens des Unternehmens nicht entlassen, gekündigt oder anders benachteiligt werden (§ 13 GlBG). Die im Falle von Frau S eingetretene Verschlechterung der Arbeitsbedingungen steht in einem direkten zeitlichen Zusammenhang mit der Bitte an Herrn P, es zu unterlassen, ihr körperlich zu nahe zu kommen. Neben dem Tatbestand der sexuellen Belästigung verletzt Herr P damit auch das Benachteiligungsverbot.
Kein Kündigungsschutz
Frau S erkundigt sich im Verlauf der Beratung mehrmals, ob sie einen Kündigungsschutz habe. Sie möchte unbedingt im Unternehmen bleiben. Das GlBG bietet keinen Kündigungsschutz. Es gibt jedoch für Betroffene die Möglichkeit, eine Kündigung innerhalb einer sehr kurzen Frist anzufechten (§ 12 Abs. 7 GlBG). Im Falle der Frau S ist dies nicht erforderlich – sie bleibt im Unternehmen und tritt eine neue, gleichwertige Stelle an.
Fazit
Sexuelle Belästigung passiert am Arbeitsplatz, in der Öffentlichkeit sowie in der Familie. Sie betrifft Personen aller Altersstufen, Kulturen und Gesellschaftsschichten. Sexuelle Belästigung ist eine Form von Machtmissbrauch und ist verboten.
Oft glauben Betroffene, sie können rechtlich nur gegen sexuelle Belästigung vorgehen, wenn es sich um körperliche Übergriffe handelt. Doch sexuelle Belästigung beginnt viel früher: hartnäckiges Starren auf bestimmte Körperteile, sexualisierte Gesten, Nachrichten mit sexuellem Inhalt oder Bemerkungen über das Aussehen, auch wenn sie in „Komplimente“ verpackt sind – all das kann sexuelle Belästigung sein. Für Belästiger:innen muss erkennbar sein, dass ihr Verhalten unerwünscht ist. Wenn dem so ist, müssen Betroffene Belästigungen auch nicht ausdrücklich zurückweisen.
Die Abhilfeverpflichtung, die Arbeitgeber:innen trifft, entspringt der allgemeinen Fürsorgepflicht und dem Gleichbehandlungsgesetz. Die Gleichbehandlungsanwaltschaft veranstaltet Schulungen für Arbeitgeber:innen und sonstigen Verantwortungsträger:innen zum Umgang mit Vorfällen von sexueller Belästigung. Weitere Informationen über die Abhilfeverpflichtung finden Sie im unserem Leitfaden (PDF, 259 KB) sowie in unserem Gleichbehandlungs-Blog.
Frau S fühlt sich wohl in ihrer neuen Stelle, mit den neuen Aufgaben ist sie zufrieden. Sie erholt sich derzeit von den Erlebnissen, denkt über eine Stundenreduktion nach und konnte mit der Unterstützung der GAW einen Schadenersatz in angemessener Höhe geltend machen. Ihr zentrales Anliegen war, im Unternehmen bleiben zu können und Abhilfe gegen die sexuelle Belästigung zu erhalten. Beides ist zu ihrer Zufriedenheit erfolgt.